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Full text of "Bismarck und sein Werk; Beiträge zur inneren Geschichte der letzten Jahre bis 1896, nach Tagebuchsblättern"

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Bismarck und 
sein Werk 



Moritz Busch 



BISMARCK 

UND SEIN WERK 



BEITRÄGE 



IltKEHEH GESCHICHTE DER LETZTEN JAHRE 81S liäf 



NACH TAGKIilK HSlil. \T IT:k.\ 



MORITZ BUSCH 

ERSTES BIS VIERTES TAUSEND. 



LEIPZIG 

VERLAG VON S. HTRZRI. 



Das Kotlil ilcr L'diuijut/.un^ ist vi>r!ii->uiiti;ii. 



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- 9 & 



Vorwort. 



Mein Tagebuch erzählt unter dem Datum des 2 1 . März 
]8ai aus Friedrichsruh: „Nach Tische, beim Zeitungslesen, 
bemerkte der Chef — ich weiss nichl mehr, durch was 
veranlasst — ; „Büsch lein wird einmal, lange nach meinem 
Tode, eine, innere Geschichte unserer Zeit nach guten 
Quellen schreiben." — „Ja, Durchlaucht," antwortete ich, 
..üt.idi nicht eine eigentliche Gesehichie — das kann ich 
nicht — wohl aber eine ZLi^iinmenitcKiinji von yutem, 
zuverlässigem Material dazu, gewissenhaft: gesammelt und 
richtig beleuchtet, und nicht lange nach Ihrem Tode, 
den wir selbstverständlich so fern als möglich wünschen, 
sondern dann sofort, ohne Verzug; denn der Wahrheit 
kann in diesen faulen Zeiten nicht bald genug zu ihrer 
Ehre verholfen werden." 

Der Fürst sagte in dieser Sache nichts weiter. Ich 
aber hatte das zuverlässige Material in meinen über mehr 
als zwanzig Jahre sich erstreckenden, fast durchgehends 
unmittelbar nach Begegnungen und Gesprächen mit dem 
Klinker nie;iers;esc:ine!.'enei] Tuijdetclis.Wiiilern . neljs'. 



Das Schicksal genialer und heroischer Geister ist 
zuweilen , von ihren Zeitgenossen entweder überhaupt 
nicht oder erst spät und dann nur von der Minderzahl 
begriffen und gebührend gewürdigt zu werden. Das ist 
aber im Grunde eine ganz natürliche Erscheinung. Solche 
Geister sind eben „nicht von dieser Welt", einzige Grössen 
der Vernunft und Willenskraft, Ausnahmen von der Regel. 
„Alles Grosse und Gescheite", sagt Goethe, „existirt in 
der Minorität. Es ist nie daran zu denken, dass die 
Vernunft populär werde. Leidenschaften und Gefühle 
mögen populär werden, aber die Vernunft wird immer 
nur im Besitze einzelner Vorzüglicher sein."*) Der 
Genius, der Heros ist nach seinem Wesen und seinen 
Wegen für die breite Masse , in der er auftritt , ein 
Fremder; er empfindet und sieht, denkt und strebt an- 
ders als die Mehrheit der Menschen, die ihn beim Be- 
ginn seiner Laufbahn umgeben, er urtheilt, sie um Kopfes- 
länge überragend und ho ihren Horizont überschauend, 
über dem, was sich die öffentliche Meinung, den Zeit- 
geist, neuerdings nach demokratischer Afterphilosophie 



»] Eikermann, (lesprächc mit Goethe, 4. Aufl. II, 44. 



gebildet li.it. Er verletzt endlich vielfach auch das, was 
sie als ihr Interesse zu beiiT.dnei! gewohnt ist. So ge- 
schieht es, dass die Idee, die sich in ihm verkörpert, die 
Ziele, die er verfolgt, die Aufgaben, die er zumuthet, 
nicht nur jahrelang unverstanden bleiben, sondern zugleich 
oft als etwas Unbequemes, Feindseliges und Verwerf- 
liches empfunden werden. „Man kann", bemerkte Goethe 
einmal zu Eckermann, „kaum etwas aassprechen, was 
dem Eigendünkel und der Bequemlichkeit schmeichelt, 
um eines grossen Anhanges in der mittelmässigen Menge 
gewiss zu sein."*) Der geniale und heroische Geist thut 
das Gegentheil und kann des Gegentheils sicher sein, 
bis lange Erfahrung, bis oft sich wiederholender Erfolg 
ihm bei der Men^e keehv yeben. Wohl bewundert man 
bald seine Ungewiihnlichkeit , ubschem sie Vielen zu- 
weilen an Unheimlichkcit grenzt, wohl muss man seiner 
Sicghaftigkcit mit der Zeit den Tribut der Achtung 
zollen; aber daneben regt sich fort und fort der Neid 
über die Macht, die er ausübt, und der Verdruss, dass 
er trotz der Irrthümer, die man alle Tage an ihm tadeln 
zu müssen wähnt, und trotz des schweren Schadens, den 
er angeblich stiftet, so gross ist. „Stets kriecht der Neid 
die Grossen an", klagt der Chor im sophokleischen Ajas. 
Das Grosse ist eben den Meisten unsympathisch, sie 
haben keine Ader, es iitiiiiifringeii und um;ei.beilf zu ver- 
ehren, sie können es nicht einmal dulden, sie müssen 
es hassen und dagegen frondiren , auch ohne weiteren 
Grund, aber immer „von Rechts wegen". 



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— 3 — 

Vergleichen wir mit dieser Betrachtung das Ver- 
halten des Publikums gegen die beiden letzten Genien 
und Heroen unsers Volks: Goethe und Bismarck. 

Goethes Leben erstreckte sich über mehr als acht- 
zig Jahre, und bis zum Ende dieser langen Periode, ja 
noch in unsern Tagen ist von Beschränktheit und Partei- 
geist immer von Neuem sein Name verunglimpft und 
sein Schaffen falsch verstanden, getadelt und bekämpft 
worden. Er selbst sagt über seine Feinde, dass dieses 
Geschlecht nie aussterbe, und dass ihre Zahl Legion sei.*) 
„Eine ansehnliche Masse bilden dabei die -Gegner aus 
Dummheit-", die ihn nicht verstanden und ihn tadelten, 
ohne ihn zu kennen. Eint; zwi-it ;'■ grosse Menge sind die 
Neider, die ihm die ehrenvolle .Siedlung nicht gönnen, 
die er sich durch sein Talent erworben hat. Ferner 
kummen dazu die, „welche aus Mangel an eigenem Suc- 
cess seine Gegner geworden sind und ihm nicht ver- 
zeihen können, dass er sie verdunkelt, obwohl sie be- 
gabte Talente sind". Eine vierte Klasse, die er als 
„Gegner jus Gründen" bezeichnet . da sie wirkliche 
Schwachen und Fehler seiner Schrillt*!) schellen, lerleUl 
ihn am wenigsten, weil er, beständig fortschreitend und 
höher strebend, oft die Fehler schon abgelegt hat, die 
sie ihm vorwerfen. „Sie schössen nach mir, wenn ich 
schon meilenweit entfernt war." Endlich führt Goethe 
noch Gegner „aus abweichender Denkungsweise" an. 
„Meine ganze Zeit wich von mir ab; denn sie war ganz 
in subjektiver kichum« begriffen, wahrend ich in mei- 
nem objektiven Bestreben im Nachtheile und völlig allein 

Man vergleiche zu den nächstfolgenden Seiten den 



J) Eckcnmnn. Gespräche 1, lOJ. 



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zweiten Abschnitt von Victor Hehns „Gedanken über 
Goethe", denen sie in einigen Stücken wörtlich ent- 
lehnt sind. 

Beim Erscheinen der ersten Werke Goethes, des 
Götz und des Werther, beherrschte die gebildete Schul- 
poesie nach Form und Inhalt, sprachlich und stofflich, 
die deutschen Schöngeister und die Lese weit. Der 
Dichter sollte im Dienste der Tugend stehen; für die 
künstlerische Schönheit an sich hatten die Wortführer 
der Mi;ns, r ü schlechterdings weder Augen noch Verständ- 
nis!. So ^rscniih es denn, dass die beiden Schapfiingen 
wie plötzlich aus flachem Lande aufgestiegene Vulkane 
wii l;ten. Sie ri<?:i.:n bei Allen Staunen, bei Y?elen Schrecken, 
bei Manchen geradezu Abscheu hervor. Der Berlichingen 
schlug allen Regeln des Aristoteles ins Gesicht und sollte 
nicht aufzuführen sein. Nach Leasings Meinung war er 
nur ein in Gesprächsform gebrachter Lebenslauf, kein 
Drama. Friedrich der Grosse erblickte in ihm „eine ab- 
scheuliche Nachahmung der Engländer (Shakespears) voll 
ekelhafter Albernheiten, verfasst wie für die Wilden Kana- 
das". Hmiii.i (iatotti wurde ihn: 'Avil vee gezogen. Nui 

die Stellen des Stückes, die sich dem Rührenden oder 
dem Gespannten näherten, würden von der Kritik gelobt. 
Die energische Lebens Wirklichkeit des Ganzen empfand 
man nicht, und ebensowenig bemerkte jemand, dass hier 
der Ucbergang eines älteren Kulturzustandes und Staats- 
lebcns in ein anderes Zeitalter dargestellt war, und dass 
die eigentliche tragische Substanz des Stückes darin liegt, 
dass die untergehende Welt als die edle, menschliche, 
mitleida werth e erscheint, die aufgehende dagegen als die 
böse und hass ens würdige , während sie doch das histo- 
rische Recht auf ihrer Seite hat. Noch blinder stand die 
grosse Mehrheit des Publikums vor Werthers Leiden. 



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Der Held ist Iiier ein ausschliesslich idealistisch angelegter 
Charakter, der unmittelbar nach dem Unendlichen greift, 
ohne es innerhalb der Schranken und Bedingungen, wo 
es :\ich allem verwirklicht . fassen ™ können. Er zeigt 
uns, dass eine schwärmerische Gemüthsart wie die seine 
in logischer Verkettung abwärts zur Selbsfcjerstörung 
führt. Obwohl ein edler und reicher Geist, will und 
vermag er nichts Bestimmtes, jede greifbare Wirklich- 
keit engt ihn ein, die Welt wird ihm zur Schranke und 
Fessel; sein Ich gilt ihm Alles, und er folgt ihm in 
Allem, im Verkehr mit Menschen, in Amtsgeschäften, 
auch in der Liebe. Aber sein unbegrenztes Streben 
aus der Niedrigkeit der Dinge , in der die Alltags- 
menschen sich wohl befinden, lässt ihn ohne Frucht und 
Frieden, und da die Welt nicht zu verneinen ist, so 
muss das Ich weichen. Wie hätte eine solche Entwicke- 
lung, wie hätte der Dichtei ^enius , der hier von eignen 
Seelenzuständen erzählte , damals verstanden werden 
können? Man hatte ja selbst niemals Aehnliches erlebt 
und erstrebt wie der Held des Romans , nie 'tiefere Be- 
dürfnisse gehabt, das Ideale war diesem Zeitalter nur in 
der Form des Tugendhaften fasslich, die künstlerische 
Meisterschaft des Verfassers entzog sich den Blicken der 
Beurtheiler, die nur die schlechte Moral sahen, die er 
vortrug; die ] lo^tisciio Darstellung , die nur sich selbst 
zum Zwecke hat, war ein unbekannter Begriff, und so 
verwarfen <">r(.hoik'Ni: wie der I l.unimi gel f'aslui' Gticw: 
und Aufklärer wie der Berliner Nicolai das Buch mit 
Reicher Entschiedenheit. 

Nach der Ansicht der meisten Kritiker war es eine 
Empfehlung des Selbstmords und eine Art Leitfaden 
dann, um gefährlicher, als der Verfasser mit liebens- 
würdigen Eigenschaften ausgerüstet war, und umso gott- 



— B — 

loser , als er .sich offenbar vorgesetzt harte, die Jugend 
durch süsses Gift zu verführen. In Leipzig wurde infolge 
dessen die Vcrbrcii.img und das Lesen des Buches auf 
Antrag von Professoren der Universität durch die kur- 
fürstliche Bücherkommission bei 10 Thalern Strafe ver- 
boten. Dr. Erncsti, der Dekan der theo logischen Fakultät, 
schrieb der erwähnten Kommission, dass der Roman in 
witziger und angenehmer Form den Selbstmord empfehle, 
was schwachen Leuten gefährlich werden könne. Dr. Behl, 
der von der Universität erwählte Bücherkommissär, gab 
sein Votum dahin ab, dass der Verfasser „durch seine 
witzige und feine Art ordentlich liinrcis.se , so dass er 
jungen Leuten von ungeübten Sinnen und dickblütigen 
Personen gefährlich werden könne". Obwohl das Buch 
schon so weit verbreitet sei, dass ein Verbot zu spät zu 
kommen scheine, so empfehle er ein solches doch. In 

Berlin half sich dei gesunde .Mcnsehenvci stand, der dorl 

leuchtete, mit spöttischen Nachahmungen des Romans, 
dessen Poesie hier als Schwärmerei aufgd'nssi. wurde, die 
mit Unsinn und Finsterniss verwandt war. Lessing er- 
klärte ihn Tür eine missrathene Biographie, deren Ver- 
fasser, wenn er je zu Verstände käme, nicht viel mehr 
ah ein gewöhnlicher Mensch sein würde. Selbst die, die 
sich ohne Skrupel hinreissen Hessen, wie Schubart und 
Heinse , eigneten sich das Kunstwerk nicht zu freiem 
ästhetischem Genüsse an, sondern schwelgten in Gefühlen 
und beweinten den Schalten des Unglücklichen. Es war 
die durch Rousseau und Richardson in die Mode ge- 
kommene Empfindsamkeit, der Werther eine neue er- 
wünschte Gabe war, und deren höchste thränen bethaute 
Bliithe sich in Millers Siegwart entfaltete. Nicht weniger 
abfällig als Lessings Urthcilc über die Erstlinge Goethes 
lauteten Klopstocks Aeusserungen über nachfolgende 



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Schöpfungen des Dichters. Allezeit erhaben und würde- 
voll fand er, dass bei Hermann und Dorothea der Stoff 
bedauerlich plebej sei , dass hier alle neun Musen für 
die Dorfschenke gesun^e-m hatten, und dass die Dichtung 
tief unter Vossens Luise gestellt werden müsse. Die 
Iphigenie, dieses Drama edelster Formenschönheit und 
klassischer Stille, war ihm eine „steife Nachahmung der 
Griechen", und ähnlich kritielten andere weise Thebaner 
des Zeitalters der Haarbeutel. Das Schauspiel wehte sie 
kalt an ; denn es war nicht modisch sentimental , blos 
seelenvoll , innig und fromm , es athmete die reinste 
Sittlichkeit, prct.liiju. aber nichl Muri:'.. sein Pathos rauschte 
wie eine mächtige unterirdische Quelle, sein Kolorit war 
zu zart, um dem groben Gcschniacke der Menge zu ge- 
fallen. Sie starrte die priesterliche Jungfrau bestenfalls 
mit grossen Augen au und gahnle: inv.'endi;,'. Gleichfalls 
unsympathischen lienrtheilimgcn begegneten bei damali- 
gen Leuchten der Kritik Egmont, Tasso, Wilhelm Meister 
und die Wahlverwandtschaften, unter welchen Werken 
die letztgenannten beiden den Philisterseelen als un- 
moralisch Anstoss gaben. Das schöne Leben und die 
einfache Fülle, womit auch sie feinfühlige Geister ent- 
zücktem, bliebe--: den Alltac;snienscricn verborgen. Goethes 
Natur und Richtung stimmten nicht zu den Lehren, die 
man aus der jetzt zur Herrschaft gelangten Kantschen 
Philosophie abgeleitet hatte. 

Die Schule der Romantiker machte gegen die platte 
Aufklärung Front, sie kämpfte gegen die Ansprüche und 
Leistungen des blossen Verstandes und der abstrakten 
Willensfreiheit, sie wies auf das Recht und die Macht 
der Phantasie hin, auf das natürlichem Werden und Wachsen 
in der Kunst wie im Staate ; sie hielt auf Grund dessen 
den Dichter hoch, und ihr weitreichender Einfluss hob 



— 8 — 

ihn auch in der Schätzung des Publikums. Zwar wandle 
sie sich später von ihm ab, weil er nicht mystisch ge- 
nu;,', 7.u m.issvoll RCgcn über verzückter Phantasterei und 
zu sehr Freund der lichten hellenischen Schönheit war, 
um seine Ideale im Halbdunkel des Mittelalters zu suchen; 
indess hatten die Meister und Zöglinge der Schule zu 
viel ästhetische Bildung, als dass sie im Stande gewesen 
wären, der innern Stimm« völlig Schweifen aufzuerlegen, 
und so schwankte sie zwischen Anerkennung und An- 
feindung des grossen Heiden in Weimar. 

Wie nach ihnen die aus Frankreich importirte, mit 
der ratiunai^tisrhei! Aufklärung verwand To liberale Dok- 
trin den Dichter herabsetzte, und wie die Herolde und 
Propheten dieser Richtung , erst der noch halb roman- 
tische .ieiiUii-hlliiimulnfle Menzel, dann lä/irne, der bittere 
giftige Jude und Demokrat, darauf von ungefähr gleich- 
artigem Gesichtspunkte, aber in anständigerem Tone 
Gervinus ihn als Aristokraten, als gesinnungslos, knech- 
tisch, weibisch, als aller Liebe zur Freiheit und zum 
Vatcrlande bar, kurz als in der neuen demokratischen 
Welt nicht mehr zeitgemäss darstellten, kann hier nur 
angedeutet werden, und dass ihn zuletzt noch, begreiflich 
genug, der Ultramontanismus in Gestalt des Jesuiten 
liaumgarten für Alle, die dem Zeichen: S. I. folgen, 
gründlichst abthat. m<is;e ebenfalls nur kurz erwähnt sein. 
Goethe äusserte im Jahre 1830 — also noch kurz vor 
seinem Tode — zu Eckermann *) über solche Gehässig- 
keilen, an den Vorwurf anknüpfend, er habe in der Zeit 
der Befreiungskriege nicht wenigstens als Dichter für die 
Sache seines Volkes mitgewirkt: „Es versteckt sich hinter 
jenem Gerede mehr böser Wille, als Sie wissen, ich 



") liespräclic mit (Diethe TU, 216. 



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fühle darin eine neue Form des alten Hasses, mit dem 
man mich seit Jahren verfolgt und mir im Stillen bei- 
zukommen sucht. Ich weiss, ich bin Vielen ein Dorn 
im Auge, sie wären mich gerne los, und wenn man an 
meinem Tah.m nielr. rühren kann, sn w ill man all meinem 
Charakter. Bald soll ich stolz sein, bald voller Neid 
gegen junge Talente , bald in Sinnlichkeit versunken, 
bald egoistisch , b;ild ohne Christenthum , endlich gar 
ohne Liebe zu meinem Vaterlande und zu meinen lieben 
Deutschen. Wenn Sie aber wissen wollen, was ich ge- 
litten habe, so lesen Sie meine Xenien; und es wird 
Ihnen aus meinen Gegenwirkungen klar werden, womit 
man mir abwechselnd Jas Leben zu verbittern ver- 
sucht hat." 

Edler geartete Cei.'-tcr, tiefere Naturen sahen, un- 
abhängig von Schule und Mode, neid- und vorurt heilslos, 
in ihm stets unsern ersten Dicht crfür.s'.eu , und in der 
Kritik, die ihn verwarf, Unfug und Unsinn. So auch 
Vischcr, der grösstc Ae.sthetiker unserer Tage, der die 
Opposition gegen ihn in ergötzlichem Vergleiche ver- 
spottet. In seinen „Lyrischen Gangen" betrachtet er am 
Hamburger Hafen ein ungeheures Seeschiff. Da kommt 
eine offene , leere , bruchige Ggarreukiste stromab ge- 
schwommen, eröffnet den Kampf mit dem Riesen, stosst 
wider ihn an und zerschellt iämmerlich an seinem Buge. 
„Da fiel nun so von ungefähr," so schliesst die Satire, 
„mir Goethe ein und seine Widersacher." 



[L 



Aehnlich wie dem vornehmsten Dichter der Deut- 
schen ist es ihrem grössten Staatsmann ergangen. Auch 
Bismarck hat es vom Antritt seiner amtlichen Laufbahn 
bis zu dem schändlichen Rdchstagsskandal vom 2.;. März 
1895 und der albernen Hetze der demokratischen Presse 
vom Oktober r8oö, nur einer Minderheit zu Danke ge- 
macht. Hier wie dort bei Goethe sollte man zu viel 
Verehrung rügen müssen , und siehe da , hier wie dort 
li.ilh'ii wir violtiK'lii- ;4<'^('[i AiijjnlTf m vi:rtheidig(.;n. Odur 
besser hatten wir. Auf fioidiT ( Iralistcin liuichu-n un- 
vergänglich die Worte: „Viel Feind, viel Ehr", und bei 
Bismarck wurde sein Fall nur die Folie , auf der sein 
Werth heller erstrahlte und das Volk seine Sieghaftig- 
keit allgemeiner gewahr werden und seine Unersetzlich- 
keit schwerer empfinden musste. Kr war von Anbeginn 
und wurde im Verlaufe seiner Erfahrungen, in der Ent- 
wicklung und Lösung der Fragen , die an ihn heran- 
traten, immer mehr der rein natürliche Politiker, der 
Mann der thatsächlichcn Verhältnisse, deren Wesen und 
Bedeutung er mit genialen Augen, mit dem Instinkte, 
der rascher und sicherer fasst als aller Verstand der 
Anderen, erkannte, und in deren Beurtheilung und Ver- 



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— 11 — 

Wendung er sich durch keim: Y<xti:thennc, durch keinerlei 
in langem Gebrauch für die Menge unfehlbar gewordenes, 
vom Herkommen heilig gesprochenes Vorurtheil irre- 
führen Hess. Er war mit dieser Denkart der Reformator 
nach den Kordovim yeii den Lehens, der sein I kindcin 
ausschliesslich auf die klare Beantwortung der Fragen : 
Was ist in der Sache vorhanden , was möglich , was 
nützlich r gründete, niemals aber nach dem einrichtete, 
was nach den Abstraktionen der oder jener Schule sein 
sollte. Aus den Reihen der Konservativen hervor- 
gegangen, gehörte er spater als leitender Politiker keiner 
Doktrin und keiner Partei an, und so wurde er vom 
Standpunkte keiner Doktrin recht begriffen und von den 
Lagern aller Parteien nach einander verurthcilt, gehasst 
und bekämpft. Den Demokraten von 1848 und denen, 

die ihm in der KnniliLtszeil gegenüberstanden , des- 
gleichen den vorsichtigem Liberalen, die später nach der 
Alleinherrschaft der Parlamente trachteten, war und blieb 
er ein Junker, ein Reaktionär, ein Gegner und Schädiger 
aller verfassungsmässigen Einrichtungen. Den Konser- 
vativen erschien er im Gegentheil eine Zeit lang als Ge- 
nosse und Verwandter derer, welche die Krone von der 
Majorität der Volksvertretung abhängig machen wollten. 
Die Freihändler sahen in ihm einen unbedingten Wider- 
sacher der Lehren, die sie verfochten. Die Klerikalen 
behaupteten , er sei ein Feind der katholischen Kirche. 
Niemand war mit ihm auf die Dauer zufrieden. Anfangs 
schätzte man sogar seine Fähigkeiten und sein Wissen 
eeiin;: und prophezeit!: ihm ein klägliches Fiasco. Die 
„Berliner Allgemeine Zeitung", Vinckes Blatt, von Julian 
Schmidt, „Lessing dem Zweiten", redigirt und infolge 
dessen doppelköpfig unfehlbare Weisheit predigend, ent- 
warf folgende Charakteristik von ihm : „Als ein Land- 



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— 12 — 

edclmann von ;v.,i -.;>•: politischer HildLing, dessen I An- 
sichten und Kenntnisse sich nicht über das erhoben, was 
das Gemeingut aller Gebildeten ist , begann er seine 
Laufbahn. Den Höhenpunkt seines parlamentarischen 
Ruhmes erreichte er in der Revisionskammer von 1H49 
und im Erfurter Parlamente. Er trat in seinen Reden 
seil vo:: und rücksichtslos auf, meichakm-. bis nur Frivoli- 
tät, mitunter witzig bis zur Derbheit, aber wann hätte 
er einen politischen Gedanken geäussert?" In der That, 
so konnte man aus dieser Censur der damaligen Libe- 
ralen schliessen , der wird es nach allem Anschein zu 
nichts Besonderem bringen und bald sein Ministerhotel 
mit (Jesu Rücke!-, a^-ei'ru müssen. 

Später noch , weil schwerer verblendet von oben 
und unten zugleich, am 26. August 1865, schrieb Gustav 
Freytag in einem Briefe ah mich als Redacteur seiner 
„Grenzboten" ; „Wenn unsere Freunde sich von dem 
deutschen Bedürfniss, zu lieben und jede Kraftent Wicke- 
lung zu verehren , nicht frei machen können , so 
mögen sie das in der Sülle thun , wenn sie aber Herrn 
v. Bismarck für einen Mann erklären, der etwas Anderes 
als Junkerstreiche und wilde Kinl'ällc durchzusetzen im 
.Stande ist, und wenn sie dieser Bewunderung in meinem 
Blatte Ausdruck geben, so muss ich mir das als Preusse, 
der eine andere Idee von der Ehre eines preussischen 
Staatsmannes hat, doch in aller Bescheidenheit verbitten. 
Da schreibt ein treuherziges Gemüth so weise über Ideal- 
und Realismus gegenüber Elenden , die sich von den 
Herren Haugwitz und Lombard nur durch einen Zusatz 
von Süffisance unterscheiden, welcher Zusatz Ihnen, wenn 
mir recht ist, im Roman missfällt (Fink in „Soll und 
Haben") in der Wirklichkeit aber auch Ihren treuen 
dummen preussischen Kopf verwirrt hat." Als nun von 



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— 13 — 

allen Erwartungen und lV^ihweiun^eij der Gegner das 
Gegentheil eintrat, sollten günstige Zufälle für ihn ge- 
arbeitet, sollte er „Glück gehabt" haben, und als er 
durch rasch auf einander lokvvuie i^oncidie 1 .risliii^i'n 
der Welt über seine Grösse die Augen geöffnet hatte, 
als er sich trotz aller Angriffe auf seine Politik Jahr nach 
Jahr auf seinem Posten behauptete , gesellte sich der 
Neid zur Opposition aus doktrinären Gründen, der Neid 
strebsamer liberaler Parteiführer und der gefährlichere 
Neid aristokratischer Politiker, die am Hofe Stimmung 
gesren ihn machten. Man fühlte sich hier wir: dort als 
Kraft, die ebenfalls an erster Stelle Verwendung ver- 
diente, ebenfalls das Hochgefühl des Herrschens be- 
anspruchen konnte, das ihn angeblich nicht von seinem 
Posten weichen, nicht den sich klüger dünkenden Streb- 
lingen Platz machen und so Gelegenheit zur Entfaltung 
ihrer Talente geben Hess. 

Prüfen wir kurz die Vorwürfe, die gegen Bismarck 
erhoben wurden, so zerfallen sie vor den Thatsachcn in 
Nichts. Der Reichskanzler ist als Junker geboren, d, h. 
der Sohn eines Landedclmanns, er fühlt sich in Urlaubs- 
zeiten gern als solcher , und er hat in den Tagen , wo 
er als Abgeordneter politisch zu wirken begann, die An- 
sichten seiner Stand es genossen theilweise vertreten und 
mar oft recht derb und unverblümt, ja er hal damals 

■■ •>• .,".) .'. . .: .1.1 i ■: .11 • . ■ ■■ i . tv. I 'i: 

acceptiren , dass man ihn als Junker hinsicllc. Aber er 
ist selbst in jener frühen Zeit kein Gegner des ver- 
fassungsmässigen Lebens überhaupt , sondern nur dem 
r:.n- . i.:-,. n K 'ii : i .Iinn.i1ismiis. wie er " t'riM-wu 

eingeführt wurde, abhold gewesen, weil er ihn als etwas 
dem deutschen Wesen Aufgepfropftes, nicht aus ihm Er- 
wachsenes betrachtete, und weil er dem Kimige auf- 



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genothigt worden war. Er hätte damals eine ständische 
Verfassung und Vertretung vorgezogen, versöhnte sich 
aber später mit jenem mechanischen ungegliederten 
System soweit, dass er es mit gewissen Vorbehalten und 
Einschränkungen Tür nützlich, ja für unentbehrlich halten 
konnte. Als Minist« und Reichskanzler hat er der Partei, 
die mit dem Ausdrucke Junkerthum bezeichnet wird, nur 
mstiiem u a hegest an dei!, als irr wie sie royalistisch fühlte 
und vorzüglich deshalb kein Uebcrwiegcn der Parlamente, 
keine solche Befu^niss der YolksvertruLun^skörper wollte, 
bei der der Monarch wenig mehr als eine mit Goldtinte 
geschriebene Null ist. Im Uebrigen war er, wie seine 
Bitte um Indemnität bei der Nachwirkung der böhmischen 
Siege lind /ahlreiche andere Adiisserungtii um] I Iand- 
lungeu beweisen , zu allen Zeiten verfassungstreu und, 
wie abermals eine Reihe von Aussprüchen und Mass- 
nahmen, z. B. seine häufige Wahl bürgerlicher Kollegen 
und seine abweisende Haltung bei dem Verlangen der 
Lauenburgischen Ritterschaft nach Bestätigung ihrer alten 
Gerechtsame zeigt, kein Anwalt feudaler Ansprüche, kein 
Förderer unbilliger Adelsinteressen. Wie unbequem ihm 

die Verwirklichung seiner Reformpläne hemmte, hat er 
doch niemals eine Reaktion gewollt , weder eine nach 
dem Herzen der Junker, der Fraktion Kleist, Lippe und 
Konsorten , noch eine andere. Er ist aber andererseits 
auch niemals unter die Liberalen gegangen, wie ihm die 
Kreuzzeitung einst vorwarf, als sie ihn 1872 des „Ab- 
falles vom monarchischen Prinzipe zu Gunsten einer par- 
lamentarischen Majorharshen-sehat!" zieh. Er hat sich 
vielmehr immer nur vor Augen gehalten, dass er Minister 
in einem Staate mit einer Volksvertretung war, deren 
Zustimmimg zur Gültigkeit neuer Gesetze erforderlich 



— 15 — 

ist, enss diese Zustimmung \ «n einer Majorität ertheilt 
wird, und dass die Raths der Krone somit verpflichtet 
sind, (Vir ihre Gesetzentwürfe eine Majorität zu gewinnen, 
wenigstens so weit, dass dieselbe die Regierung im All- 
gemeinen unterstützt. Bismarck hat bewiesen , dass er 
eine unbedingt nothwendiije Reform keiner Majorität 
opfern wollte, er hat aber auch den Ausspruch gethan, 
dass der Konflikt keine regelmässige Staatseinrichtung 
sein könne. 

Auf" die Kla^e der Freihändler int m antworten, 
dass ihre Theorie sich bei jedem politischen Gemein- 
wesen dessen natürlichen Kräften und dessen wirth- 
schaftlichcr l--nwicl;olun!.;>;stufi: anpassen muss , dass sie 
ganz ebensowenig wie eine liberale Verfassung allein selig- 
machend, ist, und dass Bismarck nur daraufhingewirkt 
hat, dass ihn: Geltung für Drutschlaud maßvoll und mit 
Rücksicht auf alle Bethciligtcn insoweit eingeschränkt 
wurde, als Industrie und L.mdwiiiliich.ii! m ihrem Be- 
stehen in Gegenwart und Zukunft vor dem Wettbewerb 
übermächtiger Lander Schutz bedurften. 

Wenn endlich die Klevik^en dem Reichskanzler eine 
feindselige Gesinnung gegen die kathousche Kirche an- 
dichteten, so würde das ungefähr zun effen, wenn man es 
umkehrte und sagte : der Ultramontanismus , der seit 
einigen Jahrzehnten in jener Kirche das Wort führt, zeigte 
sich, wie er überhaupt jeden starken Staat, der seinen 
Zwecken nicht dienstbar zu sein braucht, mit allen Waffen 
befehdet, von Anfang an als erbitterter Gegner und Auf- 
wiegler gegen die Schöpfung Bismarcks, das Deutsche 
Reich mit dem protestantischen Kaiser. Der Kanzler 
nahm in den Streite nur die Stellung eines sich noth- 
gedrungen Vertheidigenden ein. Er verhehlte sich die 
Schwierigkeiten, die jeder Kampf der weltlichen Macht 



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griff, so 
Unfehlbi 



Hiergegen schritt er — sicherlich auch mit einem Blick 
auf Russlaad , das sein Interesse in Polen von gleichen 
national- klerikalen Ränken unterminirt sah und in dem 
deutschen Kanzler hiervon Neuem den natürlichen Bundes- 
genossen erblicken musste — entschlossen ein, indem er 
den Antrag auf Beseitigung jener Staats gefährlichen Be- 
hörde stellte und diesem den ferneren auf Einführung 
der weltlichen Schulaufsicht folgen liess. Endlich hat 
er auch tlk Willi -<n ri !;-v: : r;ini Irruiiyvii an^ert-yt. Da- 
gegen ist seine Betheiligung an den eigentlichen Mai- 
gesetzen nur eine passive gewesen, und ich habe bei 
wiederholten Anlässen von ihm selbst vernommen, er 
habe, als diese Massregeln nachträglich zu seiner Kenntniss 
gelangt seien, sofort starke Zweifel an ihrem Werthc und 
an ihrer Durchführbarkeit geäussert. 



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m. 

Wir haben bisher ^osclicn, was der Gegenstand unserer 
Betrachtung im Lichte der Wahrheit nicht ist. Versuchen 
wir nun uns klar zu machen, was er ist; denn nicht blos 
bei seinen Gönnern, sondern zuweilen auch bei seinen 

die der rechten Beleuchtung oder der Genauigkeit er- 
mangeln. Spüren v.-ir ^nächst den Grundsätzen, die ihn 
leiten, und den Zielen nach, die er bei seiner Politik 
vor Augen hat, so hat sich hier, da er stets durch Er- 
fahrungen bclchrbar war und nie ausgelernt zu haben 
meinte, im Laufe der jähre durch Beobachtung des ge- 
schichtlichen Werdens und innere Verarbeitung seiner 
Bildungen Mancherlei geändert. Aber die fundamentalen 
Uebcrzeugungen, zu denen er sich auf der Höhe seiner 
Laufbahn bekennt , auf welche er seine Pflichten basiit, 
nach welchen er sich seine einzelnen Ziele steckt, stehen 
bei ihm grossenthuils schon bei Beginn seiner politischen 
Thätigkeit, wenigstens seit seiner Frankfurter Zeit fest. 
In seinen Reden, schriftlichen Aeuss erringen und amtlichen 
Handlungen treten deren vorzüglich zwei hervor. Bereits 
im vereinigten Landtage, im Abgeordneten hause von 
1849 und im Erfurter Parlamente bekannte er sich zu 
2 



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- 18 — 

dem Glauben an die Notwendigkeit und Heilsamkeit der 
Monarchie , wie sie sicli in Preussen herausgebildet und 
in ihrem Wesen als lebendige Monarchie bewährt hat 
„und in Zusammenhang damit zu dem energischen Gefühle 
der Pflicht, diese Einrichtung gegen die Angriffe der 
Demokratie zu verthcidiycn," die später unter der Finna 
der Forts chrittspartei das Ziel einer Beschränkung, Läh- 
niniiy v.nil Yeiili']di!Le;img der königlichen Macht durch 
Einschwärzung eines nicht verfassungsmässigen Parlamen- 
tarismus erstrebte. Andererseits war er schon nach den 
ersten Monaten deiner Wirksamkeit :iU lii:ndesta:_,'SL;('saudler 
auf dem Wege zu der Ueb erzeug im g, dass das Heil der 
deutschen Nation nur in der Bi^nmchint; eines Hundes 
Staates unter der Führung Preussens zu suchen sei, und 
entfaltete er auch dafür bald eine rastlose und kraftvolle 

Mögliche versuchend , vorbereitend , nicht in direkter 
Linie nach dem letzten Ziele. Der zweite Artikel seines 
politischen Kredo ging in Anbequemung an die Umstände 
und mit Benutzung der wechselnden Gunst der Lage 
durch verschiedene Phasen hindurch. Er gab sich zu- 
vörderst als Wunsch und Bestreben nach einem Preussen 
kund, das vermitreist einer festen, auf seine Vorzüge ver- 
trauenden Politik die deutschen Mittel- und Kleinstaaten 

essenverbände um sich gmppiren sollte, gestaltete sich 
später zu verschiedenen dualistischen Kombinationen und 
erreichte, als die letzte derselben ein Bundesverhältniss, 
bei welchem Oesterreich im Süden Deutschlands, Preussen 
im Norden die militärische Führung haben sollte (die 
Gablcnzschc Mission im Frühsommer von 1866), in 
Wien abgelehnt worden war , ihre nahezu volle Aus- 
prägung im Norddeutschen Bunde und ihre ganze Voll- 



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— 19 — 

endurtg na ein lleseirigimg der zweiten und letzten llaupt- 
schwierigkeit, Frankreichs, im Deutschen Reiche, dessen 
Kräftigung und Sicherang seitdem durch ajle inneren 
Reform Vorschläge des Kanzlers und gleicherweise durch 
die Gesammtheit der Hauptaktionen seiner auswärtigen 
Politik wie ein rother Faden zu verfolgen ist. Beide 
Glaubenssätze , der von der Noth wendigkeit eines kraft- 
vollen, in seiner Freiheit nur durch die Verfassung be- 
schränkten Königsthums und der von dem Bedürfniss 
eines um Preussen bundesstaatlich geeinten Deutschlands 
stehen unmittelbar neben einander und verhalten sich so, 
dass der erste das Mittel, der zweite den Zweck aus- 
drückt. Selbstzweck kann der erste bei Bismarck wohl 
nur in seinen Jugendjahren um: soäter in ( i(-lV;hlsmomcnten 
gewesen sein. Zuweilen sah es vielleicht auch nur so 
aus, und es gab in solchen Fällen Leute, die gleich jenen 
altenAuguren heitere Blicke wcchsuUe:!. Karlistenenthusias- 
mus war ihm in dieser Zeit nicht gegeben, indessen mit- 
unter nützlich, und so stellte er sich ein. Der freie König 
aber gehörte aus vielen Gründen als Mitte! in Bismarcks 
Reformationswerk. Nur ein Königtimm wie das preussi- 
sche konnte, den geeigneten Träger vorausgesetzt, der 
in diesem Falle in König Wilhelm, dem von Bismarck 
iicrathenrn und Ergänzten, vorhanden war, die von de! 1 
Lage der Dingü dringend geforderte Eirdg^u^ Deutseh- 
lands in Angriff nehmen, 'erfolgreich durchführen und, 
zum Kaiserthum erhöht, walnhalt fruchtbar machen und 

dauernd erhalten. Eine nach dem Muster des englischen 
oder französischen Parlamentarismus beschnittene Mon- 
archie hätte diese Aufgabe nicht zu losen vermocht. 
Hätte der König von Preussen seinen Willen von 1860 
bis 1866 der Mehrheit des Abgeordnetenhauses unter- 
ordnen und mil Ministem aus der Mitte dieser Mehrheit 
2* 



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— 20 — 

regieren müssen . so wäre die Umbildung der Armee 
unterblieben; denn die Mehrheit begriff nicht, dass in 
erster Linie ein stärkeres Heer nSthig war, wenn man 
die Einigung der deutschen Kation unter Prcusscn , die 
erfahrungsmässig auf friedlichem Wege, oder, wie man 
es damals nannte, „mit moralischen Mitteln" keinenfalls 
hergestellt werden konnte, crk^inpk-n wullte. Die zweite 
Folge einer solchen Not Ii wendigkeit für den König wäre 
gewesen, dass man mit der Mehrheit des parteiblindcn 
Abgeordnetenhauses für die polnischen Rebellen von 
1863 Partei genommen, sie ermuthigt und dadurch sich 
Russland entfremdet hätte, dessen Wohlwollen man für 
künftige Pläne und Unternehmungen in der deutschen 
Neugestaltung bedurfte wie das liebe Brot. Endlich 
würde man sich (864 bei der Lösung der schleswig- 
holsteinischen Verwickelung nach dem Willen des preussi- 
schen Parlaments in den Dienst der Mehrheit Oes deut- 
schen Bundestags begeben und eine Bundesexekution mit 
preußischen Mitteln vollzogen hüben; man hatte die ge- 
meinsame Operation mit den Oesterreichern unterlassen 
und wäre (■Inn 1 diese von Jen europäischen .Miiduen 
gemassrcgelt worden, die Elbherzogthümer wären dä- 
nischer Besitz geblieben, der altersschwach geborene 
deutsche Bund wäre durch den Gehorsam Preussens 

Die Ueberzeugung Bismarcks, wie zu regieren ist, 
schliesst folgende Sätze ein ; Der König von Prcusscn, 
der deutsche Kaiser herrscht nicht blos, sondern regiert 
auch. Die Unveraiitwortlichkeit seiner Person benimmt 
seinen Aeussermigen und Handlungen die Natur seibsr- 
ständiger Willensakte keineswegs. Der oberste Inhaber 
der Staatsgewalt ist kein abstrakter Begriff, kein blosser 
Träger des monarchischen Prinzips, kein blosser Sank- 



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— 11 — 

tioninmgsapparat, aufgestellt zu dem Zwecke, die nach 
den Ansichten und Absichten der Mehrheit in den Parla- 
menten geschaffenen Gesetze für die Praxis einzuweihen, 
sondern eine Persönlichkeit mit einer Meinung, einem 
Willen und einer Stimme, womit er nicht unter, sondern 
in wesentlichen Beziehungen, z. B. als ausschliesslicher 
Inhaber des Rechtes, Krieg zu erklären und Frieden zu 
schliessen, über der Volksvertretung, respektive andern 
vuriari.simjjsinässi^n Korpersehaften steht. Die Verfassung 
Preussens und ebenso die deutsche hat nur die Wirkung, 
einesthcils einen bestimmten Theil von Regiemngshand- 
lungen an Gesetze zu binden, die aus der Vereinbarung 
der Regierung mit den Volksvertretern, im Reiche zu- 
gleich mit den im l-lundesrathe versammelten Mandataren 
der Landesregierungen, hervorgehen,' andererseits den 
Souverän mit verantwortlichen Rüthen zu umgehen , die 
von ihm gewählt sind und einzig und allein durch ihn 
von ihren Posten entfernt werden können. Wenn der 
Geist der Parteien, die den fremdländischen Parlamen- 
tarismus, zu deutsch die Merrscha''; der Vollisvertrel'.mi; 
und im letzten Grunde bewusst oder unbewusst die Ver- 
wirklichung der sogenannten Volkssouveränität anstreben, 
dieses verfassungsgemässe Verhältniss nicht anerkennt, 
wenn der IJbo.rali-.uius. blind gegen die Lehren der Ge- 
schichte, die dieses in der Denkweise des deutschen und 
vorzüglich des preussischen Volks wurzelnde Verhältniss 
zu wiederholten Malen als unumgänglich erwiesen hat, 
den König zu einer stummen Abstraktion machen, ihn 
lediglich als Ornament !;el!c". lassen moelite. so halt er 
irrthiimiieh seine Wunsche tue Thaisacben , sn sieb; er 
weder auf gesetzlichem noch auf historischem Hoden, 
sondern in der trüben Luft seiner Einbildungen. 

Dies könnte zu missverständlicher Auffassung ver- 



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— 22 — 

leiten. Man könnte meinen, dass dem Kanzler im Grunde 
ein rationell und wohlwollend verfahrender ganz un- 
beschränkter Souverän höher stehe und lieber sei, als 
ein solcher, den die Verfassungen binden. Dem wider- 
spricht er indessen selbst st;hr entschieden und unzwei- 
deutig in einer Rede aus dem Juli 1879, wo er sagt: 
„Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Ich 
hin kein Gegner des konstitutioneller Systems, im Gegen- 
thcil, ich halte es für die einzig mögliche Regierungsform. 
Hätte ich 1866, wie wir aus dem Kriege zurückkamen, 
geglaubt, dass der Absolutismus in Preussen der För- 

denm;; des deulselieri Kiniineiysiverkes ni'it/licli gewesen 
wäre, so würde ich unbedingt zum Absolutismus gcrathen 
haben. Aber ich habe mich nach sorgfältigem Nach- 
denken dafür entschieden, dass auf der Balm des Ver- 
lL!-;Mii-i<i-;li:tji:ns weiieizuyi-liei) i.si. was ausserdem meinen 

inneren Empfindungen und meiner Uebereeugung von 
der GesammtmögHchkeit äusserer Politik entspricht." 
Kein Parlamentarismus also, aber auch kein Absolutis- 
mus, sondern K.instkulidu.eisinus pieus:,ischer Arl, streng 
verfassungsmässiges Regiment, sorgfältige Wahrung einer- 
seits der Rechte der Krone, andererseits der Befugnisse 
der Volksvertretung und Verwaltung des Staats durch 
königliche Beamte nach Massgabe von Gesetzen, die 
durch Zustimmung der Mandatare des Volks im Reichs- 
tag und Landtag, aber nicht allein durch diese Körper- 
schaften zu Stande kommen. Das ist in gedrängter 
KassLinsj der Inhalt Jus obei'SIen politischen Glaubens- 
satzes, zu welchem sich Bismarck in Betreff der innern 
Angelegenheiten Preussens und Deutschlands bekannt 
hat und den er im ganzen Verlauf seiner Thätigkcit als 
Leiter derselben zu verwirklichen bemüht gewesen ist. 
Der zweite grosse Glaubenssatz, die andere Haupt- 



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triehfcder seines Verfahrens auf politischem Gebiete, die 
deutsche Idee, der Gedanke," dass der lockere Bund der 
deutschen Staaten zu einem Reiche unter der Aegide 
Preussens umgeschaffen, dass die Nation in diesem Reiche 
.soweil irgend möglich und nolh wendig zusammen- 
geschlossen , und dass dieser Znstand mit allen billigen 
Mitteln erhalten und vervollkommnet werden müsse, wenn 
die Gaben und Kräfte dieser Nation zur vollem Ent- 
wicklung gelangen, ihre höchsten Interessen gewahrt 
und gefördert und schwere Gefahrdung durch die Nach- 
barn abgewendet werden sollen, ist vom Reichskanzler 
bei mehreren Gelegenheiten vor dem Reichstage aus- 
gesprochen worden. Am 9. Juli 1879 sagte er hier: 

„ich habe von Anfang meiner Karriere an nur den einen 
Leitstern gehabt : durch welche Mittel und Wege kann 
ich Deutschland zur Einigung bringen, und wie kann 
ich, wenn das erreicht ist, es befestigen, (ordern und so 
gestalten, dass es aus freiem Willen aller Mitwirkenden 
erhalten wird?" Und am 24. Februar 1881 erklärte er 
ebenda : „Alle Systeme, durch welche sich die Parteien 
getrennt und »elnindcii fühlen, stehen für mich erst in 
zweiter Linie; in erster steht die Nation, ihre Stellung 
nach aussen hin, ihre Selbständigkeit, unsere Organi- 
sation in der Weise, dass wir als grosse Nation in der 
Welt frei athmen können. Alles, was nachher folgen mag, 
liberale oder konservative Verfassung, ist ein Luxus der 
Einrichtung, der an der Zeit sein wird, wenn das Haus 
feststeht. Dann fragen Sie mich um meine Meinung, 
in welcher Weise, mit welchen mehr oder weniger libe- 
ralen Einrichtungen es zu möhliren sei. Machen Sic mir 
Vorschläge, und wenn der Landesherr, dem ich diene, 
beistimmt, werden Sie bei mir prinzipiellen Schwierig- 
keiten nicht begegnen. Man kann es so machen oder 



-m- - -,; • -■ W.v.r. I" ".,. !■ l Ii- . i. 

K> gühi /.i'iti-n. *-o man liberal, und solche, w<> :nan 
Hiktatorisch regieren muss, es wechselt Alles, hier giebt's 
xi-im- Ewigkeit. Abi r v<-n ,1,-n Hau des Reiches, von 
i!it Kinij;keit dir Nation verlange :r h. das* sie sturmfrei 
dastehen und nicht hlos eine passagere Feldbefestigung 
haben " 

\ ..Ii ,!,-,:■: t . r i : ■ i« I — :l< -|V, in. i.< "., . n 

Winden der Parteien und unter allen Sternbildern, welche 
diu auswärtigen Konjunkturen am Himmel aufsteigen 
Hessen, wie nach einer Magnetnadel, nach ihnen wen 
dete er sein Schiff bald der, bald jener Richtung in den 
Parlamenten zu. Das Reich war nach seiner Gründung 
zuvörderst nach aussen zu sichern. Dann war auf dessen 
innure Ausstattung Bedacht zu nehmen. In jener Be- 
ziehung sah sich der Kanzler bis 1S79 der Möglichkeit 

einer russisch-fraiizi'isisch-iisterriiichischen Allianz gegen- 
über, wie sie die Kaunitzsche Zeit erlebt hatte, und 
dieses Bündniss gegen das neue Deutschland verhütet 
zu haben, wird die Geschichte ihm dereinst als nicht ge- 
ringeres Verdienst anrechnen, als die Politik, mit welcher 
er Schopfer des deutschen Reiches wurde. Die zeitig 
begonnenen, unermüdlich fortgesetzten und schliesslich 
mit Erfüll belohnten Versuche einer Wiederannäherung 
an den grossen Nachbarstaat im Südosten, von dem man 
sich 1866 hatte trennen müssen, um die Einigung des 
eigentlichen Deutschland möglich zu machen, sowie die 
Resultate der diplomatischen Kunst des Fürsten gegen- 
über andern Mächten waren nicht die einzigen Mittel 
hierzu. Als wirksame Unterlage dieser diplomatischen 
Bestrebungen war es vor allen Dingen geboten, bei den 
Kabinetten Europas den Eindruck hervorzurufen und zu 
erhalten, dass das neue Reich in sich einig und fest sei, 



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— 25 - 

und zu diesem Zwecke imisstc verhindert werden, dass 
die Regierung im Reichstage dauernd und bei wichtigen 
Fragen in der Minorität blieb. Das Ausland musste 
sehen, dass die verbündeten Reyie runden unter sich und 
ini: der Mehrheit clor Volksvei Iretiin;; eine-- Sinnes nrii! 
beide Elemente in ihrem Sireben von nationale«) Geiste 
beherrscht waren. War dies in den ersten fahren der 
Fall, weil Liberale und Konservative, damals zusammen- 
stimmend. ■ :mii: national: Mj:> >ri: iit bildeten, so konnte 
sich die Meinimg des Auslandes von dem Zeitpunkte an 
ändern, wo die Partei des Centrums entstand, und die 
Konservativen dem Kanzler nicht nur ihre Unterstützung 
versagten, sondern ihn leidcnschahiirh zu bekämpfen an- 
fingen. Von da an gehörte die Mehrheit im Reichste 
unzweifelhaft der liberalen Partei, und da sich der Ein- 
druck der Einigkeit nach aussen nur durch Kompromisse 
mit ihr unterhalten Hess, so verständigte sieh der Kanzler 
von Fall zu Fall mit ihr, und der Ausbau des Reiches 
fand unter dem Einflüsse dieser Partei statt. Mit ihrer 
Hülfe wurde die Organisation der Wehrkraft des deut- 
schen Bundesstaates auf sichere Basis gestellt, und die 
Gefahr pari ikularistis eher und antinationaler Bestrebungen 
abgewendet. Ingleichen wurden mit ihr die ersten er- 
folgreichen Schritte gethan, das Reich in finanzieller Be- 
ziehung auf eigene Füsse zu stellen. Andere Reformen, 
die Bismarck im Einvernehmen mit dieser liberalen Ma- 
jorität des Reichstags ausführte, niiiss ich Weyen Raum- 
mangels übergehen. Andererseits hatte der Leiter der 
deutschen FokLl; siel; der Zuiiuniuiny der Liberalen r.n 
erwehren, die Reich sie gierung einer Anzahl von ihm und 
von einander unabhängiger Minister zu übertragen und 
so die hochnoth wendige Einheitlichkeit des Regiments 
zu beseitigen. Auch bei seinen ferneren Bemühungen 



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— 20 - 

für die finanzielle Selbständigkeit des Reiches und für 
die Schaffung eines einheitlichen Zoll- und Handels- 
system:; in demselben , sowie in seiner Absicht , den 
Deutschen Kolonien /.u e.swcibcr., desgleichen in meinem 
Bestreben , die arbeilenden Klassen durch geeignete 
Massregeln und Einrichtungen in der Sicherheit der 
Kxistcnz den iilirigen Kreisen der Gesellschaft t.liunlieh.sl 
gleichzustellen und die Einwirkung der Sozialdemokratie 
auf jenen Stand abzuschwächen, sah sich der Reichs- 
kanzler von der Volksvertretung weniger unterstützt als 
von den Regierungen. 

Ich gedenke, an diese Thatsache anknüpfend, nun 
der Stellung, die der Fürst Bismarck zu den Einzel- 
repernngr-n im Reiche einnahm. Dieselbe)', konnten ihm 
unbedenklich Beistand leisten , da sie ihm vertrauen 
durften; denn er hatte ihnen zu keiner Zeit Zumuthungen 
gemacht, die über das Nothy.-e.ndi^ste hinausgingen, An- 
sinnen, wie sie die Unitaricr, diejenigen wohlmeinenden, 
aber kurzsichtigen Doktrinäre verlangen, die nicht in 
der Einigkeit, sondern in der ungegliederten Einheit 
Deutschlands ihr Ideal erblicken. Er war auch in dieser 
Hinsicht der Staatsmann, der sich an die Natur der Dinge 
hält und nur das unumgänglich Nöthige, das tinter den 

nbwnlk-rulr.'ii Umständen Mißliche fordert. Ich spreche 
mit seinen eigenen Worten , wenn ich sage : „Ist denn 
der Unitarismus die nützlichste und beste polltische Ge- 
staltung? Ist er es namentlich in Deutschland ? Dass er 
es nicht ist, beweisen gerade die partikularistischen Bil- 
dungen, die es nach allen Richtungen, nicht blos räum- 
lich, durchsetzen. Sie haben nicht blos einen Dorf- 
patrifitismus und einen Stndtfi.'itriotisnuis in einer Aus- 
bildung, wie ihn die Romanen und Slaven gar nicht 
kennen, Sie haben auch einen Fraktio ns Patriotismus und 



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— 27 — 

einen Ressiirlpairiuüsmu:-, der Alies ausserhalb der eigenen 
Fraktion und des eigenen Ressorts als Ausland betrachtet. 
Das hat dahin gerührt, dass der Deutsche sich nur in einem 
kleinen Gebiete behaglich fühlt, so dass man nicht wohl- 
thut, ihm von seinem häuslichen Behagen mehr zu 
nehmen, als unbedingt /im; Zusammenhalten lies tiaim-ti, 
zur Wirkung nach aussen erforderlich ist. Der Parti- 
kularismus ist die Basis der Schwäche, aber auch in 
einer Richtung die Basis der Blüthe Deutschlands. Die 
kleinen Centren haben ein Gemeingut von Bildung und 
Wohlstand nach allen Theilen desselben verbreitet, wie 

Die Fehler des Partikularismus, die Schwäche nach 
aussen , die Zerrissenheit im Innern , die Hemmstricke 
für die Entwickelung von Handel und Verkehr hat der 
Bund (der neue, der Norddeutsche, der Vorgänger des 
jetzigen Reiches ist gemeint) im Prinzipe vollständig 
durchschnitten, und seine Aufgabe ist, sie gänzlich zu 
beseitigen. Lassen Sie ihm Zeit dazu , er wird es zu 
Stande bringen , und wir werden dabei einträchtig zu 
einem positiven und von der ganzen Nation dankend 
anerkannten Ziele gelangen. Betrachten Sie die Staatcn- 
bildungen, welche eine grosse F,nhvic';ehng im Vergleiche 
mit ihren physischen Kräften erreich: haben, ohne dass 
die innere Freiheit darunter gelitten hätte, so werden 
Kit: finde];, dass sii: vorzugsweise Mit germanischem Boden 
wachsen. England ist eine solche, und es ist im hohen 
Grade decentralisirt. Sehen Sie sich die mächtige, reiche 
Erscheinung der nordamerikanischen Freistaaten darauf 
an, ob man dort den Einheitsstaat als die Basis gesunder 
Ausbildung betrachtet. Erinnern Sie sich der Schweiz 
mit ihrer Kantonal Verfassung. Blicken Sie zurück auf 
ein Gebilde, welches die meiste Aehnliehkeii mit dorn 



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Die Centralisation ist mehr oder minder eine Gewaltthat 
und ohne einen wenigstens am Geiste der Verfassung sich 
versündigenden Bruch kaum durchzuführen, und ein 
solcher Bruch hinter] äs st , mag er auch der Form nach 
gerechtfertigt erscheinen, lang nachblutende Stellen, Ich 
glaube, man soll sich in germanischen Staaten nicht 



warum sollten wir da im Kunde das Gcgcnthcil thun, wo 
wir Derartiges schon haben, und zwar Selbständigkeiten, 
welche Deutschland von grossem Nutzen gewesen sind? 
Wir haben 1 'dspieiswelst: von Sachsen Vieles lernen 
können für unsere Verwaltung; wir haben ähnliche Er- 
fahrungen in Hannover gemacht, und ich freue mich da- 
bei über einen Fortschritt in Preussen : dass der Fluch 
der hohen Meinung, womit der Mensch sich selbst bc- 
ti-figt, bin unserer näheren Hekaniitschal't mit der Ver- 
waltung der kleinen Staaten allmählich von uns ge- 
nommen wird. Aber das sind Vortheile, die eben aus 
dein selbständigen Leben dieser Staaten hervorgehen 
und uns um so weniger berechtigen, denselben den ihnen 
verfassungsmässig zugesicherten Einfluss auf die All- 
gemeinheit !.y; : ci unser Interesse zu v-nikiinimern." Aehn- 
liche Gedanken entwickelte Bismarck noch 1893 in 
Kissingen. Dass ihm das Auftreten von Unitariern immer 
und ganz unwillkommen gewesen wäre , will ich nicht 
behaupten. Sic waren ein Gegengewicht in der Wage 



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— 29 — 

der öffentlichen Mei:'amL.f ^i'^'c:-] die Extreme des Parti- 
kularismus, und sie schufen dem Kanzler Gelegenheiten, 
sich durch Bekenntniss zum Gegenlheil ihrer Wünsche 
im Vertrauen der Bundesfürsten zu befestigen. 

Das sind über die (kranken rim-K c.chloi und '.virl-: 
liehen Staatsmannes, eines weitblickenden Politikers. Staats- 
männisch, politisch urtheilen und handeln heisst, sich 
über die Bedmgu:t;^Ti seiner Zwecke klar bewusst, dem 
geschichtlichen Leben und der Natur der Dinge ent- 
sprechend, also sachgemäss, bis ans Ende schauend und 
billig denken und verfahren , von dem Erreichbaren nur 
das Nothwendifje in die Hand nehmen , das Gute nicht 
verschmähen, weil das Besserscheinende zur Zeit noch 
nicht zu haben ist. Die erleuchtete Politik begnügt sich 
auch mit Theilzahlungen , und sie giebt wenig auf die 
Form, Alles auf den Inhalt. Sie bindet sich nicht an 
Theorien, trachtet nicht nach Phantasien und weiss wohl 
die Gefühle Anderer ihren Absichten vorzuspannen, hat 
aber selbst keine, und noch weniger verstartet sie Leiden- 
schaften das Wort. Sie ist eine eminent verständige 
Kunst . 1 Vi HtaatsriKüin . wie er sein soll , geneialisirt 
nicht, übertreibt und übereilt sich nicht, er sinnt nicht 
auf Rache und kennt keine Schadenfreude. Er verfahrt 
wie der Kaufmann, der mit der Konjunktur rechnet und 
lediglich nach dem Nutzen seiner Unternehmungen fragt. 
Er vermeidet Konflikte und Kriege , so lange es ohne 
Nachrhcil und Vei>ä-.:mniss ] n t' : i l;1i ist, er bo^chä'uni <;t 
den Ausbruch des Krieges, wenn er ihn nicht mehr zu 
umgehen vurmay, da roditeiutfi; OtTunsive bei utiyelahr 
glcichen Kräften die beste Defensive ist. Bismarck ist 
in erster Reihe durch sein angeborenes Genie, durch 
seinen fast unfehlbaren Instinkt in der raschen und glück- 
lichen Auffindung von Mitteln, Massiere In und Auswegen 



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— 30 — 

vor neuen historischen Situationen ein Staatsmann ersten 

aufgezählten Grundregeln der Politik zur andern Natur 
geworden , gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen 
siiu.!, s<> i:as^ i-r schlcclr.L'tdings nicht anders als poli- 
tisch handeln kann. Die Entwickelung der Staats- 
angelegenheiten, der politischen natura naturans gebiert 
gleich der in andern Bereichen der Schöpfung fort- 
wahrend neue Lagen , neue Bedürfnisse , neue Anläufe 
zu deren Befriedigung und neue Hindernisse, die sich 
nur zu einem kleinen Theile von allen Denkenden ahnen, 
zum Theile selbst von bedeutenden Talenten nicht voraus- 
sehen lassen, da dieser Vorgang ein unbewusstes Werden 

ist. Dil' ^!-niali- I)i:g;i!>i;iig , die dein allein gewachsen 
sein lässt, die sie, mit ihm verwandt mit den Augen 
der Intuition sieht, die Kunst, jeder unerwarteten Wen- 
dung der Verhältnisse unverweilt mit den geeignetsten 
Mitteln zu begegnen und sie seinen Absichten dienstbar 
/.li umchi. il, dik^r Line: schi>! il'icbc- SlnsU^U 1 dos staats- 
männischen Genies ist in ihrer Einheit unbegreiflich wie 
das Element, die Urkraft; sie lässt sich nicht in ihre 
H est an dt heile zerlegen und löblich auch nicht beschreiben. 
Dies gilt auch von Bismarcks Begabung: wir sehen ihre 
Aeusserungen , aber ihr letzter Grund, ihre Wesenheit 
bleibt Mysterium. Niemand, er wäre denn auch vom 
Genius erfüllt, kann mit einiger Sicherheit sagen, was 
der Kanzler gethan haben würde , wenn die Lage sich 
zu der oder jener Zeit anders gestaltet hätte, als sie 
war, aber Alle haben die Empfindung, dass er sie eben- 
falls siegreich bewältigt hätte , und zwar auf sehr ein- 
fachem Wege, der hinterher aller Welt als selbstver- 
ständlich erschienen wäre wie das Ei des Kolumbus. 
Gedacht und gewünscht wurde das, was er geschaffen 



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— 31 — 

hat, im Grossen und Ganzen nachweisbar von Vielen, 
aber eben nur gedacht und gewünscht. Dass er das 
Wie fand , den rechten Weg zur Verwirklichung ent- 
deckte , ihn einschlug und nie abirrte , ist die Wirkung 
seines Genies, seines Instinkts, seines immer originellen, 
in der Produktion wie in der Kritik gleich mächtigen, 
mit heroischer Willenskraft gepaarten Verstandes. 

Wir haben in allem seinen Thun und Lassen ein 
vollkommen reines Rechnen mit klar erkannten Kräften 
und Zuständen vor uns, dem es beim Ausdrucke seiner 
Ergebnisse und deren Anwendung doch nicht an ge- 
winnender Wärme und poetischem Glänze fehlt. Wir 
begegnen ferner in seiner Wirksamkeit bei vielfachem 
Wechsel der Mittel, der Neben- und Zwischenziele einer 
Konsequenz, die fest und streng das Hauptziel im Auge 
behält, einem weitreichenden L'eb erblicke über die mehr 
..der wenievr sieiieiv» Mrjnlichkiiilcn zu seiner I-Treiclmng, 
einem überaus feinen Takte in der Behandlung der da- 
bei vor Allem in Betracht kommenden massgebenden 
Personen, der Gabe, im rechten Augenblicke zuzugreifen 
und zuzuschlagen, sonst zu vertagen, und einer fast bei- 
spiellosen Geschicklichkeit, den Gegner unvermerkt dahin 
zu lenken, dass er sich selbst vor der Welt ins Un- 
recht versetzt. Wir sahen neben gewaltiger Energie des 
Willens , grösster Entschlossenheit , Unerschrockenheit 
und Beharrlichkeit, Eigenschaften, mit denen er vor nichts 
Nothwendigem zurücktritt, jene Regeln st aat s man ni scher 
Kunst in ungewöhnlicher Vollkommenheit verkörpert, 
Mässigung und Billigkeit, die nur das Wesentliche fordert 
und darum zur Vereinbarung über nur scheinbar Werth- 
volles, aber in Wahrheit Nebensächliches oder ganz 
Gleichgültiges , das gleichwohl , wie z. B. Ornamentales, 
Etiketten massiges hohen, auch höchsten Personen oft 



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— 32 — 

ganz besonders am Herzen liegt, bereitwillig die Hand 
bietet. Ein kalter Kopf Aber einem hcissen Herzen, die 
höchste Findigkeit bei der höchsten Kühnheit, Odysseus 
und Achilleus in Einer Person — das ungefähr möchte 
die Losung des Räthsels sein . welches uns die fast 
lückenlose Kette Staunens wert her Erfolge aufgiebt, die 
sich durch das Leben Bismarcks als Ministers und Reichs- 
kanzlers hindurchsehlingt. 



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IV. 



Wir gehen nun von Behauptungen zu Betegen, von 
allgemeinen Charakterzügen zu besondern Bethätigungen 
des Wesens unserem Helden über. Zunächst noch einige 
Beispiele seines iiüissvolleri und ! >esr,;intnieu Verhaltens 
gegenüber Ansprüchen entgegengesetzter Art, die in 
seiner Umgebung, zuweilen recht ungestüm, laut wurden. 

Bismarck rieth 1866, als von höhern Kreisen des 
Feldlagers, auch vom Könige Wilhelm, der Besitz ganz 
Sachsens , wenigstens eines grossen Theils desselben, 
Nordböhmens und des einst den Hohemollern gehörigen 
Nordbaierns ins Auge gefasst war, von den eroberten 
Landstrichen nur Hannover, Kurhessen, Nassau und 
Frankfurt zu behalte!!, weil dadurch eine Lücke zwischen 
der östlichen und der westlichen Hälfte Prcussens aus- 
■;c!'jlk wurde U'id weil die. Bevölkerung d< .rt der 
preussischen im Grossen und Ganzen homogen war. 
Eine Theilung Sachsens würde , so erklärte er denen, 
die den Wösten lies Königreiches , etwa von [ .eipüig 

bis Zwickau, und im Osten die Gegend von Zittau 
'.'eri,mi.'ten , Verbitterung in dem übrigbleibenden Ge- 
biete erregen und dem beabsichtigten neuen deutschen 
Bunde ein verstimmtes, grollendes Glied einfügen. Ganz 



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am Kriege betheiligen und schon eine geringe franzö- 
sische Kriegsmacht hinreichen würde , die inzwischen 
numerisch sehr stark gewordenen süddeutschen Truppen 



einzutauschen hoffte. Er rechnete dabei richtig. Die 
Verständigung mit Oesterreich kam 1879 zustande, und 
das schon i86fi .ib^esciilossene iiändriiss mit Baiern half 
1870 Frankreich besiegen. 

Der Kanter nahm ferner das Elsass und einen Thei! 
Lothringens nicht deshalb, weil sie einmal Bestandttheile 



unter uns zur Sprache kam — sondern aus militärischen 
Motiven: „weil die dominirende Lage von Strassburg 
und der vorspringende Winkel von Weissenburg Süd- 
deutschland vom Norden abschnitten und es steten Ueber- 
fällen durch die Franzosen aussetzten." Met/, wurde 
aus ähnlichen Gründen gefordert. Er licss diese Lande 
nicht zur prosaischen Provinz erkoren, wie wohlmeinende 
Patrioten, z. B. Heinrich v. Treitschke, wünschten und ihm 
nahelegten, sondern bewirkte, dass sie Rcichsland wur- 
den, indem er dadurch den Neid und die üble Nachrede 
der Bundesgenossen, sie hätten einen Eroberungskrieg 



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— 35 — 

für Preussen führen müssen, vermied, und indem durch 
das gemeinsame Eigenthum des Nordens und des Südens 
an dieser Eroberung ein gemeinsames Interesse und da- 
mit wieder ein starkes Bindemittel wischen den Staaten 
nördlich und südlich vom Main geschaffen wurde. Bei 
jeder Verhandlung üher diese oder später auftauchende 
verwandte Fragen bekundete er die Selbstbeherrschung, 
die genügsame Vorsicht und den weiten Blick des Staats- 
mannes, der mit Kopf und Herz über seiner Umgebung 
steht, und den mit solcher Natur verbundenen billigen 
Sinn; bei keiner Gelegenheit ähnlicher Art liess er sich 
durch Gefühle des Publikums von Entschlüssen, die ihm 
sachgemäss und zweckdienlich erschienen , irgendwie 
ablenken. 

Als im September 1870 die „Nationalzeitung" über 
die rücksichtsvolle jichaiidlnti g des Kaisers der Franzosen 
klagte und der Meinung war , die Nemesis hätte gegen 
diesen unsern Gefangenen, den Mann des zweiten 
Dezember, den Urheber der Sicherheitsgesetze, den An- 
slil'ter des mexikanischen Trauerspiels , den Anzettcler 
des jetzigen greuclvollen Krieges weniger galant sein 
sollen, der Sieger sei hier nach dem Urthcilc des Volks- 
gemüths allzu ritterlich gewesen, war der Kanzler dieser 
Ansicht ganz und gar nicht. „Das Volksgemüth , die 
öffentliche Meinung", sagte er, „denkt allerdings so. Die 
Leute verlangen, dass bei Konflikten der Staaten der 
Sieger sich mit dem Moralkodex in der Hand Uber den 
Besiegten zu Gericht setze und ihn zur Strafe ziehe für 
das, was er gegen ihn begangen, womöglich auch für 
seine Sünden gegen Dritte. Das ist aber ein ganz un- 
gebührliches Verlangen. Die Begriffe Strafe, Lohn, Rache 
gehören nicht in die Politik. Diese darf der Nemesis 
nicht ins 1 landwerk pfuschen, nichl das Richlcramt üben 



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- 36 -- 

wollen, das ist Sache der göttlichen Vorsehung. Die 
Politik hat nicht zu rächen, was geschehen ist, sondern 
zu sorgen, dass es nicht wieder geschehe. Sie hat sich 
unter allen Umständen einzig und allein mit der Frage 
zu b.-schaltigen: ,Was ist hierbei der Vortheil meines 
l.aruiis, und wie nca:nc ich cit-sen Yi.ftlui', am be-lcn 
wahr '" Sie hat sich in diesem 'Falle zu (ragen ,Wer 
wud nützlicher sein, ein schleciit bchnmKtei XapuSeon 
oder rin gu: lnlia::i:L'htr ; ' Die Möglich kei: ist iluta 
nicht aiisgeschl<--.-i , n , <:a« er einmal «n-di r < hinaU 
kommt •' Wh im im n liier gar:/ d:> Tonart t.\ ::c,rcu, 
in welcher er vier Jahre früher UcliiirUr^uns.; und Mässigung 
empfohlen hatte, als neben der Begehrlichkeit auch das 
Gefühl der Rachlust im böhmischen Feldlager die Weg- 
streichung Sachsens von der Karte und die Lostrennung 
Frankens von Baiern gefordert hatte. Beust und Pfordten 
waren vor dem „Volksgemüth" der Nationalzeitung eben- 
falls strafwürdige Sünder, und namentlich der Dresdener 
Premier war von der Nemesis unnachsichtlich und gründ- 
lich zu züchtigen. 

In derselben Tonart äusserte sich Bismarck in Ver- 
sailles auch nach anderer Richtung hin. Es war, als 
über Tische sein Vetter, Graf Bismarck-Bohlen, in Betreff 
der Verhaftung Jacobys. des belrri innen Klinischer jrr 
Demokraten , seine Freude äusserte , dass man „den 
faulen Schwätzer endlich eingestunden" habe. Der 
Kanzler erwiderte : „Ich freue mich darüber ganz und 
gar nicht. Der Partoimann mag das thun, weil seine 
Rachegefühle dadurch befriedigt werden. Der politische 
Mann kennt suIHk: Oetnlik- niehl ; ik-r fragt -k'h nur, 
ob es nützt, wenn ein Gegner gemisshandelt wird." Er 
bestritt in diesem Falle die Opportunität des Verfahrens 
der Behörde, während er ü.s vom Suniipunkn; des Kriogs- 



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— 37 — 

rechts in der Ordnung fand und mich dies in die 
Weserzcitun;; bringen Hess. 

Gleichfalls in diesen Zusammenhang gehörig und 
gleichfalls sehr charakteristisch sind die Urtheile Bismarcks 
über die Aufnahme, welche die in Versailles abgeschlossenen 
Verträge wegen des Eintrittes der süddeutschen Staaten 
in den Nordbund von Seiten der öffentlichen Meinung zu 
erwarten hatten, und über die Ausstellungen, die bald 
nachher wirklich daran gemacht wurden. Als der Trak- 
tat mit Baiem unterzeichnet werden sollte, sagte er: „Die 
Zeitungen werden damit nicht zufrieden sein, und wer 
einmal in der gewöhnlichen Weise Geschichte schreibt, 
kann unsre Abkommen tadein. Er kann sagen: Der 
dumme Kerl hätte mehr fordern sollen, er hätte es er- 
langt, sie hätten gemusst. Und er kann Recht haben — 
mit dem Müssen. Aber was sind Verträge, wenn man 
sie abschliessen mussl Mir lag mehr daran, dass die 
Leute mit der Sache innerlich zufrieden waren, und ich 
weiss, dass sie vergnügt fortgegangen sind. Ich wollte 
sie nicht pressen , die Situation nicht ausnutzen. Der 
Vertrag hat seine Mängel , aber er ist so fester. Ich 
rechne ihn zu dem Wichtigsten, was wir in diesem Jahre 
erreicht haben." 

Einige Tage darauf bemerkte er über die Press- 
stimmen, denen diese Uebercinkunft nicht genügte: „Ich 
habe mir's gleich gedacht. Es misslällt ihnen, dass ge- 
wisse Beamte baierischc heissen, die sich doch ganz 
nach unsern Gesetzen richten müssen. Mit dem Militär 
ist's in der Hauptsache ebenso. Die Bierstcuer ist ihnen 
auch nicht recht; als ob wir das nicht jahrelang im Zoll- 
vereine gehabt hätten? Und so haben sie noch Allerlei 
auszusetzen, wo doch alles Wesentliche erreicht und ge- 
hörig festgemacht ist, Sie thun, als ob wir den Krieg 



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38 

gegen Baiern geführt hätten wie i866 gegen Sachsen, 
während wir doch jetzt die Baiern als Bundesgenossen 
nur Seite haben. Ehe sie den Vertrag gutheissen, wollen 
sie lieber warten, bis sie die Einheit kriegen in der ihnen 
genehmen Form. Da können sie lange warten. Ihr 
Weg führt zur Verschleppung , wo es doch rasch han- 
deln heisst. Zögern wir, so gewinnt der böse Feind 
Zeit, Unkraut dazwischen zu säen, und wenn das auf- 
geht, können sich diese Tadler auf dem Altare des Vater- 
landes todtsch lagen lassen, es wird doch nichts aus ihren 
Wünschen." 

Hiermit wolle man die folgenden Stellen aus meinem 
Tagebuche vergleichen. Die erste ist vom 26. September 
1888 und betrifft ein Gespräch, das ich am Morgen des- 
selben Tages auf einer Fahrt von Friedrichsruh nach 
Silt und Schönau mit dum Kanzler gehabt hatte , und 
das sich auf das kurz vorher auszugsweise von Geffcken 
veröffentlichte ^Tagebuch des Kronprinzen und spätem 
Kaisers Friedrich ID. bezog. Die betreffenden Stellen 
meiner Aufzeichnung haben es mit der Verschiedenheit 
der Methoden zu thun, nach denen auf der einen Seite 
der Prinz, auf der andern der Kanzler im Sommer von 
1870 die Frage der Einigung Deutschlands behandelt 
und gelöst wissen wollten. „Der Kronprinz", sagte Bis- 
marck am 26., September über diesen Punkt u. A., „war 
nur theüweise in unsere Verhandlungen eingeweiht, weil 
der König fürchtete, er werde seiner Kra?: oder direkt 
der Königin Victoria und ihrem Hofe, wo man mit den 
l''i , aiii((jsirn s\ mpal hlsirte . darüber sehreiben. Zweitens 
aber konnte er uns dadurch schaden, dass er von unsern 
deutschen Bundesgenossen zu viel wollte und an Zwangs- 
massregeln dachte, zu denen seine guten Freunde in 
Baden und Koburg riethen, Roggenbach z. B., der immer 



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— 39 — 

ein Narr war. Er war also über die Geschäfte nur ober- 
flächlich informirt. Dennoch muss es auffallen, dass in 
den Aufzeichnungen , die doch Tag für Tag nieder- 
geschrieben sein wollen, so viele falsche Eindrücke, Ver- 
mischungen , Verwechselungen und chronologische Irr- 
thümer vorkommen. Da soll ich Mitte Juli nach Varzin 
zurückgewollt haben , weil der Friede nicht mehr ge- 
fährdet sei, während er doch wusste, dass ich den Krieg 
Tür unvermeidlich ansah und zurücktreten zu wollen er- 
klärt hatte, als der König nachzugeben Miene machte. 
Ks ist ferner nicht denkbar, dass der Kronprinz sich 
schon frühzeitig bemüht haben will , Nichtpreussen das 
Eiserne Kreuz zu verschaffen, während er doch noch in 
Versailles gegen diese zuerst von mir vorgeschlagene Mass- 
regcl war. Erst hier soll , sodann der Streit zwischen 
mir und ihm über die Zukunft Deutschlands stattgefunden 
haben, wo er sich doch an frühere Meinungsdifferenzen 
dieser Art erinnern musste, die zu sehr lebhaften Aus- 
einandersetzungen geführt hatten , welche man nicht 
leicht vergisst. Es war schon vor oder gleich nach 
Sedan, bei Beaumont oder bei Donchory , und unsere 
Unterhaltung fand in einer langen Allee statt, wo wir 
neben einander herritten. Wir geriethen dabei mit unsern 
Ansichten über das, was möglich und moralisch zulässig 
war, hart aneinander, und als er von Gewalt und Zwangs- 
massregeln gegen die Baiern sprach, erinnerte ich ihn 
an Markgraf Gero und die dreissig Wendenfursten, auch 
an die Mordnacht von Sendling. Als er aber bei seiner 
Meinung blieb, sagte ich ihm (wohl nicht so schroff und 
unverblümt), das könne vielleicht ein Prinz, aber kein 
Edelmann versuchen. Es wäre Treulosigkeit, MissbamJ- 
lung und Verrath an Bundesgenossen gewesen, die ihre 
Schuldigkeit gethan hatten, ganz abgesehen von der 



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— 40 — 

Unklugheit des Attentats, wo wir sie noch nöthig hatten. 
Auch das kann der Kronprinz kaum selbst geschrieben 
habe», was das angebliche Tagebuch über meine Stel- 
lung zur Kaiserfrage im Jahre 1866, über meine Ab- 
sichten in Betreff der Infallibität und über die Oberhaus- 
idee und die Reichsministerien anfuhrt. Er hat 1870 
nicht mehr zweifeln können, dass das Kaiserthum, wie 
er sich's 1866 vorstellte, damals weder nützlich noch er- 
reichbar gewesen wäre, ja das Kaiserthum überhaupt 
nicht. Er wollte 1866 keinen Kaiser, sondern einen 
König von Deutschland; die übrigen Könige und die 
Grossherzöge sollten wieder werden, was sie gewesen 
seien — blosse Hersöge, Als ob das so leicht zu machen 
gewesen wäre! Es kam aber 1870 wieder, und er licss 
sich erst später von mir überzeugen. Das Oberhaus war 
schon bei Beaumont oder Donchery zwischen uns be- 
seitigt wurde», desgleichen die Ruichsminister." 

Die andere Stelle, welche die vorherige ergänzt, ist 
der Information zu einem Aufsatze für die „Grenzboten" 
entnommen , dessen Gedanke:! ich mir am Iü. Februar 
I889 Nachmittags auf Befehl des Reichskanzlers in dessen 
Palais zu Berlin holte. Dieselbe lautet: ,,Als ich des 
Artikels über ihn und den Kronprinzen bei den Ver- 
sailler Verhandlungen mit den Baiem erwähnte, wollte 
er ihn sehen, worauf er sagte: ,Ich möchte Sie bitten, 
doch daran anzuknüpfen ntki auf (jul'lVkens Aus/u» .lils 
dem Tagebuchc des Kronprinzen zurückzukommen, *) 
oder richtiger, aus einem der drei oder vier Tagebücher 



*) Kr hatte lieh inunseheti Ubetieagi, das GeRcken wirklich nach 
Aufzeichnungen <],.„ K r 1 : : 1 1 1 7 -. : 1 ■ : ■ - 1 -': ,.-it^< Imne. Zwei Tagebücher, ein 
Mlf^tL'.s iinil <-in M-lir ihiü-l'iilirl i i.-ln.-^ in f"olii>, U-iilc durchweg vi.n lUrr 
M:.:i,! >i K. rioln-ii in-uhrir.'ticn urni -|^ti-i in: I Ijumiiiii-Icniuii vi-r- 
'Mihrt. Iiatltll unv in I- 1 ■.■.lr:i l'.-r-.]:i .ir.i.;^ i'.L|.;i v i>ri;c le^ u 1 1 . 



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aus dem Kriege und aus späfc 


;rn Jahren. Die letztern 


sind eigentli 


ch keine Tagebüche 


r. Ein Tagebuch ist eine 


Reihe von ti 


iglichen Aufzeichne 


igen, in denen man hin- 


schreibt, w; 


ls man erlebt und ■ 


;rfa ren hat, unmitte bar 




ein Tourist; und s< 


3 verhalt sich s auch mit 




dem ursprünglichen 


, Es ist kurz, beschäftigt 


sich vorzüg! 


ich , wie es die Kr: 


:egszeit mit sich brachte, 


mit militari: 


ichen Dingen und 


enthält so gut wie gar 


kein« politischen Betrachtungen. 


Die andern sind später 


interpohrt, i 


iach Gesprächen, di 


e er mit guten Freunden 


oder sulchei 


[, die er dafür hiel 


: . j;i-h;ih: h;U 1 hr liil- 


dete sich d; 


mei ein, dass er d 


as schon 1870 selbst ge- 


dacht habe. 


Ich sage, er bildet, 


i sich das ein und glaubte 


daran; den 


a er war ein sehr 


wahrheitsliebender Herr. 


Die guten J 




vergnügte, Streber und 


Intriguantcn 






fühlten, die 


es besser wussten 


und konnten als die Re- 


gierung, die 


gern mitgeholfen hätten, aber nicht durften. 


Es waren v 


erkannte Talente , 


sitzen geblieben und kalt 


gestellt — ; 


.agen Sie, politische Winkelkonsulenten und 


PfuschdoktO! 


-en. Er zeigte ihnc 


n das Tagebuch, und sie 


machten ih: 


e Bemerkungen da 


zu, die er dann eintrug. 


Sie hatten f 




1 dieser Gestalt eine nütz- 




age für die Zukun 


ft abgeben könne. Die 




n Umgestaltungen si 


nd darauf zurückzuführen. 


Er liebte au 


ch das Abschreiben 


, wie ähnliche äusserliche 


Beschäftigur. 


gen, z. B. das Sie: 


,'eln. Und er hatte Zeit 


dazu. Sein 


Vater hielt ihn * 


an allen politischen Ge- 


Schäften fern, er redete selbst 


beinahe niemals mit ihm 


von solchen Sachen und verbot 


es auch mir, ihm davon 


Mittheilung 


zu machen. Von 


1863 an gab es ununter- 


brochene Kämpfe zwischen den Beiden, und mehrmals 


kam es dabei zu heftigen Auftritten , wo . . . So auch 



— 42 — 

in Versailles bei der Kaiserfrage (in der sich der Kronprinz 
die Pläne Bismarcks endlich angeeignet hatte und sie 
bei seinem Vater befürwortete), wo der allergnädigste 
Herr zuerst von unsern Vorschlägen nichts wissen wollte 
und einmal so zornig wur.Lo, d.'iss er mit der Faust neben 
dem Tintenfasse auf den Tisch schlug, so dass es hoch 
aufhüpfte und fast zum Fenster hinausgeflogen wäre. 
Und hier können Sie den Bericht des Tagebuchs über 
diese Angelegenheit ergänzen. Wie es überhaupt lücken- 
haft und unvollständig ist, so fehlt bei ihm auch der 
erste Akt der Verhandlungen, wo ich den Kronprinzen 



liehen Kaiser, an Römerzüge, an Karl den Fünften dachte. 
Er wollte nur einen König von Deutschland oder der 
Deutschen, und die andern drei Könige sollten wieder 
den Herzogstitel annehmen: Herzog von Baiern, von 
Schwaben, von Sachsen. Daran knüpfte sich die Idee 
der Vergewaltigung: sie sollten nach Versailles ein- 
geladen werden, und hätte man sie einmal da, so sollte 
es heissen: Friss, Vogel, oder ... Das war nun nicht 
mein Fall. Das wäre Verrath, Untreue und Undank, und 
dazu gäbe ich mich nicht her, auch weil es keinen Be- 
stand hätte. Auf friedlichem Wege liessen sich die Ko- 
nige nicht degradiren. Dann stellte ich ihm die Vorzüge 
der Kaiseridee vor, etwa wie ich später an den König 
von Rmerii sdirieb : die Könige würden sich lieber einem 
Landsmanne, der den Titel deutscher Kaiser rührte, als 
einem Könige von Preussen , einem grösseren Nachbar, 
der an die Spitze Deutschlands gestellt werden sollte, 
unterordnen und ihm Rechte in Krieg und Frieden ein- 
räumen. Im Volke aber habe der Kaiser mehr Eindruck 



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z. B. Heinrich der Finkler. Es hoffe bei der Wieder- 
herstellung des Reiches auf einen Kaiser als Schluss- 
stein. Ein Kaiser sitze im norddeutschen Kyfthäuser 
und im süddeutschen Untersberge, kein König. Man 
denke sich dabei keinen römischen Kaiser, keine Römer- 
rüge und keinen Anspruch auf Weltherrschaft, die gegen 
das wahre Interesse der Nation wäre; es sei vielmehr 
eine rein nationale Idee, die damit repräsentirt werde, 
und die auch uns vorschwebe : die Idee der Einigung 
nach Zwietracht und Zerfalt, der neuen Macht und Sicher- 
heit durch diese Einigung, diese Konzentrirung zu gleichen 
Zielen aller Glieder. Diese Cedanken hätten schon 1818 
in der Burschenschaft gelebt, 1848 wären sie in der Pauls- 
kirche zu Worte gekommen, 1863 hätte Oesterreich mit 
seinem Verfassungsentwurf für den Fürstentag Achnlichcs 
im Sinne gehabt. Nur dachte es dabei in erster Linie 
an sein eigenes Interesse. Später war bei der Gründung 
des Norddeutschen Bundes von einem Kaiser desselben 
die Rede, und man sah davon nur desshalb ab, weil 
Baierh und Württemberg in diesem Falle damals sich 
gewiss nicht angeschlossen hätten und später wahr- 
scheinlich auch nicht ... Die Ueberzahl der Könige 
überzeugte ihn allmählich, und er war nun für den Kaiser. 
Diesen ganzen Akt hat er im Tagebuchc vergessen. Er 
schreibt da, als ob er die Kaiscridee erfunden und gleich 
anfangs angeregt hätte, während sie doch schon lange 
in allen Schichten des Volkes lebte — als Hoffnung, 
und er zuerst nichts von ihr wissen wollte. — Nun kam 
der dritte Akt, wo wir allerdings zusammen den alten 
Herrn in der Präfektur für sie gewinnen wollten. Der 
wies uns zuerst heftig ab und gerieth in Wuth, als wir 



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— 44 — 

dabei blieben. Ich fragte, ob er denn ewig ein Neutrum 
bleiben wollte. — Was meinen Sie damit? Was für ein 
Xciunim : Nim , das Präsidium , erwiderte ich. Es 

half auch nichts. Dann verstand er sich einigermassen 
dazu, wenn er den Titel Kaiser von Deutschland führen 
dürfe. Ich setzte ihm aus einander, dass dies gegen die 
Verträge sei und den Tcrri'.rn-iaibcsitz ganz Deutschlands 
ausdrücken würde. Er meinte, der Zar nenne sich ja 
ancli Kaiser vi m Rcsshnd. Irl) widersprach und sagte, 
der Titel sei russischer Kaiser. (Er citirte den russischen 
Ausdruck.) Er aber blieb bei seiner Meinung, bis er 
Schneider darüber befragte und der mir Recht geben 

Wir lassen uns nun in weiterer Verfolgung unseres 
Themas aus den höchsten und allerhöchsten Regionen 
wieder m gewiihnlichcr Menschheit herab und besehen 
uns noch ein Beispiel der Art, wie Bismarck gegenüber 
der öffentlichen Meinung oder vielmehr denen, die sie 
täglich zum Zubrot für den Morgenkaffee und den Abend- 
schoppen machen, die politische Vernunft und das Recht 
der Thatsachen , die bei diesen Machwerken oft nicht 
zu Worte kommen, zu vertreten pflegte. Als in der 
ersten Woche des Februar l8;i in Versailles davon ge- 
sprochen wurde, dass unsere deutschen Zeitungen über 
die Kapitulation von Paris missbilligend die Köpfe schüt- 
telten, Indem sie „unverzüglichen Einmarsch der deut- 
schen Truppen, Einzug mit Glanz, wie ihn dieses tapfere 
Heer al= kriegsmässige Genugthuung verdient", gehofft 
hatten, bemerkte der Kanzler: „Das beruht auf voll- 
ständiger Unkenntniss der Lage vor und in Paris. Bei 
Favre hätte ich's durchsetzen können, aber die Bevöl- 
kerung! Sie hatten gewaltige Barrikaden und dreimal- 
hunderttausend Mann, von denen gewiss hunderttausend 



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gekämpft hätten. Es ist aber Blut genug geflossen, 
deutsches, in diesem Kriegt-. Hätten wir Gewalt brauchen 
wollen , so wiii-c noch viel mehr vcrgnsseii wordrn Inn 
der Erhitzung der Bevölkerung drinnen. Und blos, um 
ihnen noch eine Demüthigung zuzufügen, das wäre zu 
theuer erkauft, das wäre unpraktisch, unpolitisch ge- 
handelt." 

Als der Ali^urcliiei.: Yirehow im Dezember ]88i 
dem Reichskanzler den Vorwurf machen zu dürfen 
meinte , er sei inkonsequent gewesen , weil er vom 
Kampfe mit den Klerikalen abgelassen, nachdem er ihn 
eine Zeit lang mit Eifer geführt habe , erhielt er die 
Antwort : „Jeder Kampf hat seine Höhe und seine Hitze, 
aber der Kampf im Innern , zwischen Parteien und der 
Regierung, kann nicht als eine dauernde und nützliche 
Institution behandelt werden. Ich muss ja Kämpfe fuhren, 
doch nur zu dem Zwecke, Frieden z'.\ erlangen. Diese 
Kämpfe können sehr hetss werden, und das hängt nicht 
immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist dabei 
doch immer, der Friede. Wenn, ich glaube, diesem 
Frieden in der heutigen Zeit mit mehr Wahrscheinlich- 
keit nahezukommen, als in der Zeit, wo des Kampfes 
Hitze entbrannte, so ist es meine Pflicht, dem Frieden 
meine Aufmerksamkeit zuzuwenden, nicht aber weiter zu 
fechten, blos um zu fechten gleich einem polirischen 
Raufbold. Kann ich ihn haben, den Frieden, kann ich 
auch nur einen Waffenstillstand, wie wir deren ja gehabt 
haben, die Jahrhunderte gedauert haben, durch einen 
annehmbaren modus vivendi erlangen , so würde ich 
pflichtwidrig handeln, wenn ich das nicht acccptiien 

Begeben wir uns noch einmal in höhere Sphären, 
da es dort noch einen Beleg für die hier hervorgehobene 



-- 46 — • 

Seite des Charakters Hismst-cks zu sehen giebt. Die- 
selbe verdient besonders gründliche und reichliche Be- 
leuchtung bei einem Staatsmannc, den man mit Vorliebe 
den eisernen Kanter mtmile, un; indem :uan mit diesem 
Ausdrucke mcisl den Kiicgsmanu unter den Diplomaten, 
den auf seine Kraft vertrauenden , gebieterischen Geist 
loben oder tadeln zu müssen giaubte. Nebenbei könnte 
die Moral der kleinen Geschichte für gewisse Hin- 
neigungen, die bis 1895 am Hofe Wilhelms II. bemerk- 
bar waren, die passende Bezeichnung an die Hand geben. 
Kurz vor dem letzten russisch türkischen Kriege richtete 
— so erzählte mir Lothar Bücher — die Königin Victoria 
einen Brief an den Chef,*) in dem sie ihn zum Ein- 
sprüche gegen die Absicht Russlands , die Pforte an- 
zugreifen , bewegen wollte. Die Antwort lautete aus- 
weichend. Ein zweites Handschreiben Ihrer Britischen 
Majestät begegnete einer weniger verhüllten Weigerung, 
Die Königin wandte sich jetzt an den Kaiser, um ihn für 
den ausbrechenden Krieg verantwortlich zu machen, und 
bat zugleich eine ihm nahestehende hohe Dame, der die 
ihr angesonnene Rolle eines Friedensengels mit dem 
Olivenkranze gefallen konnte — da sie schon seit Jahren 
verewigt ist und der Geschichte angehört , so brauchen 
wir auch ihren Namen nicht zu verschweigen, es war 
hIku die Kaiserin Au^iüta zu vermitteln. Die Bitte 
der Königin wurde ohne Verzug erfüllt, sie entsprach 
dem eigenen Herzensbedürfhiss der um Einmischung Er- 
suchten. Aber obwohl der alte Kaiser durchaus fried- 
fertig dachte, blieb die Vermittelung, so eifrig sie auch 
betrieben worden zu sein scheint, ohne Erfolg, da der 



•) Der übliche Titel des Kanzlers in der Alllags- und Hanssprache 
des Auswärtigen Amtes. 



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Monarch seinem ersten Rathgeber Recht geben musste, 
der ihm vorstellte, dass jenes Ansinnen, dem russischen 
Nachbar Ruhe zu empfehlen und nötigenfalls zu gebieten, 
ohne dazu in den deutschen Verhältnissen und Bedürf- 
nissen irgendwie Anlass zu haben, lediglich aus Gefällig- 
keit gegen England, damit dieses sich nicht allzusehr 
für seine kommerziellen und politischen Interessen am 
Bosporus zu sorgen und gesundheitsgefährlich zu erhitzen 
brauchte, und der ihn ferner überzeugte, dass es leicht 
zum geraden Gegentheil dessen, was damit bezweckt 
werden sollte, führen könne, nämlich zum Kriege, und 
zwar zu einem Kriege gegen Deutschland — dass also 
dieses Verlangen der Londoner Majestät nicht allein 



Leuten mit nicht sehr weitem Blick, aber mit gesundem 
Menschenverstände musste das einleuchten. „Gesetzt", 
so könnte der Kanzler einem solchen gegenüber bei 
dieser Gelegenheit argumentirt haben , , .angenommen 
der Fall , unser Kaiser liesse sich von London aus be- 
stimmun , sich an der .Sache überhaupt diplomatisch zu 
betheiligen, angenommen ferner, wir setzten uns in Positur 
und riefen nach Osten hin Basta, Russland aber kehrte 
sich nicht an das Machtgebot und liesse gegen den Sultan 



uns nehmen, bei dem wir günstigenfalls Blut und Geld 
für England opfern würden , oder das deutsche Basta 
endigte, ohne Nachdruck mit Thaten bleibend, mit einer 
Demüthigung Deutschlands vor Russland, es wäre ein 
ohnmächtiges Gebot gewesen, eine Schädigung und Ver- 
minderung unseres Ansehens und Einflusses im Dienste 
einer Macht, die den Deutschen selten oder nie im Ernste 



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— 48 — 

wohlgewollt hat und die ihnen ihre gegenwärtige Be- 
deutung in Europa nur insofern gönnt, als sie sich viel- 
leicht einmal — auch sehr Unkluges ist möglich und 
schon gerathen worden; man denke an Josias Bunsen 
— zur Förderung von Zwecken ihrer heuchlerischen 
Kaufmannspolitik verwenden und fruktifiziren lassen 
könnten." 

Wie Bismarck den letzten und höchsten Grund 



seiner Pflicht als leitende; 


■ l'ofitike, 


■ überhaupt auffasste, 


und wie er in dieser Stellung im 


mer bereit war, den 


Aufgaben, die sie ihm 


;uiIi'!-'.i;l; 


tc, seine jeweiligen 


Neigungen und Wünsche 




-dnen und seine ge- 


riialen Gaben dienstbar zu 




wie er, so zu sagen, 


ethisch fromm war, zeigt 


recht dei 


Ulich ein Vortrag - 


Lothar Bucher nannte ee 


. eine Pr 


edigt — den er im 


Januar 1871 den aus Pari 


s zur Ve 


rhandlung nach Ver- 


sailles gekommenen Fran 


zosen hie 


:1t, während sie mit 


uns bei Tische sassen. Er 


sagte da ungefähr, konsequent 



sein werde in der' Politik häufig /um Fehler, zu Eigen- 
sinn und Selbst Willigkeit. Man verblende und stemme 
sich damit gegen das Leben , das die Verhältnisse und 
Bedürfnisse uniibkissi^ Vi:i , ;'!Kk'r.- . wumi! er doch wohl 
vorzüglich die göttliche Kraft im Volke, den ethischen 
Trieb, das in demselben wirkende Unbewusste meinte, 
das die Schöpfung unserer Welt in der Geschichte in 
doppeltem Sinne aufhebend, fortsetzt. Man müsse sich, 
erklärte er weiter , nach den Thatsachen , nach der je- 
weiligen \.;we der l)iru.i<\ nach den M<">«iiü:ikeilen richten, 
seinem Vaterlande nach den Umständen dienen, nicht 
nach siMirn Meinungen, die <>!t Yomrlheilt; wären. Als 
er zuerst in die Politik eingetreten sei, habe er andere 
Ansichten und Ziele gehabt als jetzt. Er habe sich 's aber 
überlegt und sich nicht gescheut, seine Wünsche theil- 



weise, nach Befinden auch ganz, den Bedürfnissen des 
Tages zu opfern, um zu nützen. Ei" schtoss darauf mit 
den Worten: „La patrie veut etre servie et pas domince", 
was seinen gallischen Gästen und Zuhörern, wohl haupt- 
sächlich durch seine prägnante Form , stark imponirte. 



und die Majoritäten hätten stets wenig Verstand, wenig 
Sachkenntniss und wenig Charakter besessen, erwiderte 
der Kanzler sehr schön, indem er das Bewusstsein seiner 
Yvniiit\y.sr|]idski:il vor (ifjti als einen seiner Leitsterne 
hervorhob und dem „droit du genic" gegenüber, das der 
Franzose hochgehalten wissen wollte, das „devoir" als 
das Vornehmere und in ihm Mlichüyere butnntc. „La 
majorit£ n'est pas la patrie", fugte er hinzu. 



V. 

Fragen wir uns, was sind die Haupt] eistun gen dieses 
ycnialon und ln-v ii-i.'hi'.i:. diesi-s wcltj;i:i>f:liichtlit:hen Slaa- 
lenlenkers, und für was haben wir, sein Volk, was hat 
ilio s^csammto politische (u'^env/av; ihm vorzüglich zu 
danken , so fasst sich das , was uns aus der Erinnerung 
an die Jahre 18Ö3 bis rRfjO vor die Augen tritt, dahin 
zusammen , dass er uns den deutschen Staat , das neue 
Reich — man darf mit einem Rückblick ,v.-,i das vor- 
herige Tohuvabohu getrost sagen, aus nichts — geschaffen 
und damit die Anfang riiies politischon Lehens entwickelt 
hat, in dem wir nicht mehr das Volk der Dichter und 
Denker, nicht mehr blos Lieferanten von Kulturdüngcr 
für andere Gebiete, nicht mehr vom Auslande in Ver- 
folgung unserer Zwecke gehemmt, für die seinen aus- 
genutzt und in unserm Besitze bedroht sind. Er hat 
diese neue deutsche Well tvseä:;il'f"i:ii und unter höchst 
schwierigen Umständen erhalten, «eschniien mit Gehülfen, 
verdienstlichen Gehülfen, erhalten unter wenig günstigen 
Aspekten allein durch seine weise und ehrliche Politik 
gegenüber den Bundesgenossen im Reiche und gleicher- 
massen den massgebenden Kreisen in den grossen Nachbar- 
staaten, vor allen in dem jenseits der Ost grenze, dem unter 



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— 51 — 

Umständen gefährlichsten — eine Politik, die allenthalben 
Vertrauen säete Lind thatsäehlieh Iiis zu den letzten Tagen 
ihres Wirkens im vollen Masse erntete. Und nicht viel 
weniger als wir Deutsche haben die übrigen Glieder der 
europäischen VTilIrci f.^niifio dem schaiiundeti und er- 
haltenden Genius Bismarcks zu danken, wenn sie, über 
die Eitelkeiten chauvinistischen Dünkels und Neides hin Weg- 
Sähend, ihr höchstes und wahrstes Interesse ins Auge 
fassen : er hat durch jene Schöpfung im Centrum Europas, 
durch die neue Grossmacht zwischen Russland und Frank- 
reich, den vorzugsweise durch ihre Ansprüche die Ruhe 
des Welttheils gefährdenden Staaten, zugleich der ge- 
sammten Gruppe der übrigen genützt, ja sogar jenen 
beiden , da Krieg unter allen Umständen ein Uebel ist 
und die besten Güter Aller durch die deutsche Einheit 
sicherer vor Störung von aussen gestellt wurden, als sie 

Was die Einzelheit™ dieser Thätigkcit anlangt, s'i 
sind die hervorragendsten Leistungen Bismarcks in ge- 
schichtlicher Reihenfolge /.unliebst vorbereitende, wie die 
entschlossene Uebernalime des Ministeramts in schwerer 
Noth und Verlegenheit des Königs, in die ihn die matte 
und ungeschickte Behandlung der MilitiLn-eorganisation 
durch seine bisherigen altlibcralcn Räthc gebracht hatte, 
und die standhafte Verth eidig ung der monarchischen 
Gewalt gegen den Ansturm der demokratischen Mehrheit 
im Abgeordneienhause, die, angeblich mit dem Verfassungs- 
rechtc bewaffnet, die militärische Einleitung des deutschen 
Einiglings werkes zu verhindern suchte. Dann, zu dem- 
selben Kapitel gehörig, der Abschluss des Kartells gegen 
den polnischen Aufstand von 1863, durch welches das 
Wohlwollen Russlands für die nächste Zeit gewonnen 
wurde , und die Vereitelung des in demselben Jahre 



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iternommenen Versuchs Oesterreichs, den deutscher 
ind durch den Krank fürt er Kürsteiikongress nach der 



Angelegenheit sich entwickeln, durch welche die Elbhcrzog- 
thümcr von der dänischen Fremdherrschaft befreit und 
davor bewahrt wurden, nun ein selbständiger Staat Deutsch- 
lands und so ein neues Werkzeug des Partikularismus zur 
Erhaltung unserer damaligen Zerrissenheit zu werden. 
War ferner die Hinausdrängung Oesterreichs ans dem 
alten Verbände mit Deutschland ein hohes Verdienst 
Bismarcks, weil mit diesem kaum halbdeutschen , an- 
spruchsvollen und den deutschen Interessen fernen Zielen 
zugewandten Staate in engerm Bunde schlechterdings 
nicht zu leben war, so ist es kaum ein geringeres Ver- 
dienst, Oesterreich allmählich ver.iüimt und zu weitenn 
Bunde gewonnen zu haben, weil das Bündniss von 1879 
eine Doppehnacht befjrüiKk'ie, die vielleicht allein schon 
ein gemeinsames Vorgehen Frankreichs und Russlands 
gegen die AHürten unmöglich oder doch unwahrschein- 
lich zu machen vermochte, und die, durch Italiens Hin- 
zutreten erweitert und ergänzt, einen solchen Angriff von 
Osten und Westen zugleich zu verhindern im Stande 

war. Weiler ist in diesen; Zusammenheilte zu nennen, 
dass Bismarck den seit 1866 drohenden und auf die Dauer 
unvermeidlichen Zusammcnstoss mit Frankreich erst mit 
höchster diplomatischer Kunst geraume Zeit verzögerte, 
dann aber, als dies nicht mehr thunlich und erforderlich war, 
zu rechter und uns ^ünsHyn- Surndc ^iTul^ci] Hess. Un- 
mittelbar nachher, dass ei uns in diesem Kriege die Reich s- 



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lande und mit ihnen eine sichere Reichsgrenze erwarb, und 
später, nach dem Kriiiik tisricr Frieden, als sein wohlwollen- 
des Verhalten gegen die französische Republik, der er 
im Gegensatze zu Harry v. Arnim den Vorzug vor einer 
Restauration der Monarchie gab, wesentliche Vortheile 
für uns herbeiführte : es gewann uns für einige Jahre 

die Neigung der ruinieren den Republikaner, es half eine 
Staatsform befestigen , welche Russland und andere 
monarchische Grossmächte von einem Bündnisse mit 
Frankreich abschen liess , und es bewirkte durch Be- 
günstigung der Kolonialpolitik der Opportunisten einerseits, 
dass die Revanche gelüste vor Erfolgen in Tunis und Miss- 
erfolgen in Tonking momentan schwacher wurden, andrer- 
seits, dass das gute Einvernehmen /.wischen England und 
seinem Nachbar am Acrmelkanal, der sein Rival am Mittel- 
meer ist, sieh lockerte. Ebenso billi« als vorsichtig suchte 
er auf dem Berliner Kongresse die hueressen aller be- 
theiligten Mächte mit Einschluss Kusslands möglichst wahr- 
zunehmen, und wenn man hier von dem Ergebniss nicht 
befriedigt war , so lag der Grund nicht in der Thätig- 
keit des Vermittlers, sondern in dem Neide, und eier Eitel- 
keit Gortsc hakoffs, in der Unersättlichkeit und dem un- 

liMlivhun Deiitschenhasse der Moskowiter und in einer 
Presse, die diesen Hass zum Ausbruche schürte, ohne 
zu ahnen, dass sie damit Leuten diente, die der tertius 
gaudens bei einem deutsch-russischen Kriege zu werden 
hofften : den stillen Unkraulsäer:i, die am ihm eh'e YViei'.er- 
belebung des polnischen Leichnams oder eine nihilistische 
Revolution erwarteten. Endlich ist der Ausbau des 
Reiches im Innern gegen die Wünsche und Bestrebungen 
der zersetzenden Parteien, die kühne Wendung von dem 
bisher bei der ungeheuren Mehrheit der deutschen 
Wirthschaftpolitiker als unfehlbar und alleinseligmachend 



ati^o'.clur.ijii Fivi!uLi]Jd^y';[uiiL /.u yeiniis-^om Schutz/oN, 
der zugleich der Gesammtheit des neuen deutschen Bundes- 
staats durch weiiij; fühlbare indirekte Steuern eigene Ein- 
nahmen schaffte, und namentlich die Bekämpfung der 
Sozialdemokratie nicht nur durch repressive Mittel wie das 
Sozialistengesetz, sondern auch und mehr noch durch 
positive Waffen, durch gesetzliche Massregeln grössten 
Stils , udehe die Erfüllung berechtigter Begehren der 
Arbeitcrwelt anbahnten, auf eines der Blatter des Kranzes 
von Lorbeeren und Oliven zu schreiben, mit dem fortan die 
Geschichte das Kriiiiuiri.iii^sffüd Bismarcks schmücken wird. 

Bei vielen dieser Leistungen be^'leik'ie ihn unzweifel- 
haft auch das Glück. Wenn das aber von seinem Werth 
und Verdienst abgerechnet werden soll , so ist darauf 
zu erwidern: jeder hat Glück; er muss es nur sehen und 
zu benutzen verstehen. Und bei vielen andern Erfolgen 
Bismarcks waren ihm die Sterne Anfangs keineswegs 
günstig, und nur seine Energie und seine Beharrlichkeit 
setzten es schliesslich durch, dass seinem Genie die 
Ueber wältigung der Schwierigkeiten gelang , die sich 
in den Weg stellten. Sein Glück wollte, dass er nicht 
schon unter Friedrich Wilhelm IV. Minister wurde, der 
kraft einer mystischen Begabung der Könige, gewisser- 
massen „von Gottes Gnaden," Alles besser wusste als 
Andere, seine klügsten Rathgeber eingeschlossen, und 
dem er, einmal vorgeschlagen für die Stelle, nicht dazu 
passte, weil er „ein rother Reaktionär war und nach Blut 
roch". Sein Glück stellte ihm, um Anderes zu verschweigen, 
1863 in Kopenhagen eine hochmüthige , hartnäckige 
Demokratie neben das Londoner Protokoll und gab ihm 
1866 in Hannover einen doppeltblinden König und in 
Wien Diplomaten von wenig BEck und Geschick zu 
Gegnern. Sein Glück begleitete seine diplomatischen 



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Thaten in Gestalt eines Feldherrn ersten Ranges. Aber 
kaum minder zahlreich sind die Schwierigkeiten, die er 
bei Verfolgung seiner Ziele von Anfang an zu über- 
winden hatte, ohne dass ihm dabei das Glück zu Hülfe 
kam. Und solche Schwierigkeiten erhoben sich vor ihm 
nicht allein in heimischen Parteien und fremden Mächten, 
widerhaarigen Kollegen cnil r/inkevolleii 1 loiklifjucn. Nicht 
blos die zähe Ouerköpfigkeit und heillose Verblendung 
der oppositionellen Mehrheit in der Konfliktsperiode, 
die Übel ihrem mindestens zweifelhaftem Rechte das klare 

Interesse Preussens übersah , nicht nur Oesterreich und 
die ihm zugewandten deutschen Kleinstaaten, die sich 
auch auf ein Recht berufen konnten, als er an die Neu- 
bildung der politischen Organisation der Nation ging, 
nicht einzig die neidische Selbstsucht Englands und die 
hinterhältige , <:<>ppd/ii['.gi;>e Begehrlichkeit des dritten 
Napoleon schufen bei jedem weitern Schritte Bismarcks 
in der deutschen Frage Hindernisse und Gefahren. Eine 
[lauptschwierigkeit für die meist dringend nothige rasche 
Erledigung lag in vielen Fällen wo anders. Nicht immer 
war der Monarch bei Wagnissen und neuen Wendungen 
der Politik seines Ministers unverzüglich bereit, darauf 
einzugehen und ihm Stütze und Rückhalt zu sein, zu 
wiederholten Malen wurde derselbe nur mit schwerer 
Anstrengung und nach langem Ringen der Meinungen 
zu derUeberzeugung gebracht, dass gewohnter Gedanken- 
gang oder Gefühls rück sichten dem Gebote der Staats- 
räson Raum zu geben hätten. Ich erinnere hier nur kurz 
daran, wie lange König Wilhelm vor 1866 und bis in 
den Juni dieses Entscheidungsjahres hinein seine Be- 
denken gegen einen Waffengang mit Oesterreich fest- 
hielt, und wie schwer 1 879 bei seinen starken Sympathien 
für den Neffen und Freund auf dem russischen Kaiser- 



throne sein« Einwilligung zu dem uothwendig gewordenen 
Defensivbündnisse mit dem selben Oesterreich zu erlangen 
war, Bismarck schrieb damals*) an Andrassy mit Bezug 
auf die von ihm vorgeschlagene Allianz u. A, : „Ich freue 
mich, aus Ihrem Schreiben zu ersehen, dass unser Herr 
[der Kaiser Franz Josef ist gemeint] den einen Fuss im 
Hügel hat, und verzweifle nicht, dass es unsrer gemein- 
samen Arbeit gelingen wird, ihn vollständig sattelfest 
zu machen. Leider liegt es in der Natur der Dinge, dass 
meine Aufgabe so schnell nicht lösbar ist wie die Ihrige. 
Der mündliche Vortrag hat nicht nur den Vorzug der 
Geschwindigkeit, sondern auch der Beschränkung auf die 
Beantwortung der Fragen, die Allerhöchsten Orts wirk- 
lich aufgeworfen werden. In der schriftlichen Darlegung 
aber muss ich alle die Missverständnisse vorbeugend be- 
sprechen, von denen ich befürchten kann, dass sie mög- 
lich sind. Ich bin in die Lage gekommen, dass ich 
meinem Sohne, der mit Ihrer freundlichen Erlatibniss 
dieses schreibt, genau 60 Bogenseiten dictiren und den 
Inhalt durch idi^raphipche und gesonderte Zusätze den- 
noch ausführlich motiviren zu müssen [musstej. Dem- 
ungeachtet ist es mir trotz aller Sorgfalt nicht geglückt, 
das Missverständniss damit vollständig zu verhüten , als 
ob in unsren friedlichen Plänen ein Hintergedanke 
aggressiver Handlung stecken müsse. Dieser Gedanke 
ist einem mehr als achtzigjährigen Herrn ein un- 
sympathischer, aber ich darf hofft:!!, dass dne Beseitigung 
möglich sein wird, wenn es mich auch ein ziemlich um- 
fängliches Postscriptum zu jenen 60 Seiten kosten wird. 
Weniger Feld für meine Thätigkeit bietet mir die im 



*) In einem bis jet?t unvnW.liciUlit Ilten l'riv:itlnii:i t , der mir iSKS 
7,u Friedrichsruh in wortgetreuer Abschrift vorlag. 



Temperament meiru-s ] Icrtn liegende Abneigung gegen 
ein rasches Eingehen auf neue Situationen. Für Aller- 
hftchstdcnselben ist das jüngste Verhalten des Kaisers 
Alexander*} die erste, mehr blitzartige Beleuchtung einer 
Situation, die ich in den letzten Jahren schon öfter mir 
zu vergegenwärtigen genöthigt war- Es wirf! Sr. Majestät 
ausserordentlich schwer, zwischen den heiden Monarchien 
optiren zu sollen, und deshalb wird AllcrhÖchstderselbc 
sich der Uebcrzeugung, dass der Moment dazu gekommen 
sei, möglichst lange verschliessen. Die Gewohnheit hat 
ii! iin«'ini Königsha use eine gewaltige Kruft, der Trieb 
zum Beharren wächst mit dem Alter und wehrt sich 
gegen das Erkennen unbestrittenen Wechsels der Aussen- 
welt." 

Das mitgeteilte Citat genügt wohl für meinen 
nächsten Zweck, wenn man diplomatisch /.wischen den 
Zeilen zu lesen versteht. Ueber den weitern Gang hier 
nur die notwendigsten Andeutungen. Der Briefwechsel 
zwischen dem Kaiser Wilhelm und dem Kanzler zog 
sich noch einige Zeit hin. Widerlegte Hedenken stellten 
sieh von nettem ein und verlangten abermalige Beseitigung, 
andere tauchten auf und mussten ebenfalls als grundlos 
erwiesen werden. Die Zusammenkunft des Zaren mit 
seinem Onkel, die in Alexandrowo stattfand, beruhigte 
und befriedigte den letzteren , obwohl sie in Wahrheit 
die Lage der Dinge nicht wesentlich geändert hatte, und 
so kehrte er dem i'hne Hismatcks noch weniger geneigt 
von ihr zurück, als er zu ihr hingegangen war. Ehre 
und Gewissen sogar schienen ihm jetzt gegen dasBündniss 
zu sprechen. Bald hatte er diesen, bald jenen Einwand 



*) Derselbe hatte seinem licriiner Olicim einen Brief ^schrieben, 
in welchem eine Stelle wie eine rirohunj,' auasall. 



— 58 — 

gegen die Fassung des Vertragsentwurfs, bald diesen, 
bald jenen Abänderungsvorschlag, bis er endlich wider- 
willig und schweren Herzens seine Zustimmung und 
Unterschrift crtheiitc. Der Kronprinz und die preussi- 
schen Minister hatten in der Sache auf der Seite Bis- 
marcks gestanden. 

Durch die Annäherung ;in Oesterreich sali Bismarck 
sich nicht r.u völliger Abkehr von Russland veranlasst. 
Im Gegentheil, er fand es möglich, ein gutes Verhältniss 
zu dem grossen Nachbar im Nordosten nicht nur zu er- 
halten, sondern zu ergänzen und es zu einem zweiten 
S i ch er ungs mittel für Deutschland zu vervollkommnen. 
Schon bald nach dem Scheiden Goitsehakoffs aus dem 
Amte und dem Regierungsantritte Kaiser Alexanders III. 
war die Harmonie zwischen der deutschen und der 
russischen Politik wiederhergestellt , und beide Theile 
waren darüber einverstanden, dass, wenn der eine an- 
gegriffen würde, der andere eine wohlwollende Neutralität 
beobachten solle. Dieses Abkommen beruhte nicht allein 
auf mündlichen Verhandlungen und Zusagen , sondern 
war zuletzt auch in einem schriftlichen Vertrage aus- 
gedrückt worden, der, von Ministern im Namen ihrer 
Monarchen abgeschlossen, [ KS,q y.m Stande kam und bis 
auf weiteres sechs Jahn: lang gelten sollte. .Sein Inhalt 
ging zwar nicht so weit wie der des deutsch - Öster- 
reichischen Bündnisses von 1S79, das ein aktives mili- 
tärisches Eingreifen des einen Kontrahenten Verlans;:, 
falls der andere von Russland angegriffen wird, aber es 
enthielt doch die Verpflichtung zu wohlwollender Neu- 
tralität für jede der beteiligten beiden Mächte, wenn 
Deutschland von Frankreich oder Russland von Oester- 
reich der Krieg erklärt würde. Der Vertrag von 1884 gab 
Deutschland die Möglichkeit, nach der österre ichischen 



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wie nach der russischen Seite hin Deckung in Gestalt 
einer Zwickmühle zu finden , die es ganz nach Bedarf 
nach der oder jener Seite auf- oder zuziehen konnte, 
und die ihm überdies völlige Sicherheit vor Frankreich 
gewährte. Diese für Deutschland höchst günstige Lage 
der Dinge, die ihm die europäische Suprematie sicherte, 
änderte sich 1890. In diesem Jahre lief der Assekuranz- 
vertrag von 1884 ab, sollte jedoch auf fernere sechs 
Jahre erneuert werden, und die Vorbereitungen dazu 
waren bereits so weis «etroffyn, dass nur noch die Unter- 
schriften fehlten, als plötzlich die Kanzlerkrisis eintrat 
und mit ihr die Sache, die wesentlich auf dem Vertrauen 
des Zaren zu Bismarck beruht hatte, ins Stocken gerieth, 
Indcss erklärte sich Alexander III. nach einiger Zeit bereit, 
auch mit Caprivi neu abzuschlicssen, da selbst eine Macht 
wie Russland das unabweisbare Bedürfniss haben musste, 
einen sichern BundesgeU"Ssen sieh zur Seist; zu selm:i. 
und da für die russische Defensive (also abgesehen 
vom deutsch - österreichischen Bündnisse) das deutsche 
Reich entschieden der sicherste zu sein schien. Wenn 
trotzdem die neue Assekuranz nicht zu Stande kam, so 
unterblieb es, weil Caprivi (selbstverständlich aus Ge- 
horsam gegen höhern Befehl , dessen Anregung wohl 
in England zu suchen ist), das russische Anerbieten ab- 
lehnte, indem er erklärte, er wolle eine so komplizirtc 
Politik nach zwei Seiten nicht fortsetzen, sondern sich 
von jetzt ab auf sein DreibuTidverhüliiiiss beschränken. 
Damit war die Erneuerung des Abkommens mit den 
Russen, von dem beiläufig in Wien und Rom Mittheilung 
gemacht worden war, zurückgewiesen, und es lief im 
Sommer 1890 stillschweigend ab. Wenn man sich dazu 
der gleichzeitig beginnenden auffälligen Begünstigung 
erinnert, welche den preussischen Polen widerfuhr, und 



man endlich die ebenfalls in dieser Zeil bemerkbare 
demonstrative Hinwendung nach England in Anschlag 
bringt, das nach ailen seinen Interessen Russlands ge- 
gebener Gegner ist, so kann man nicht im Zweifel sein, 
dass die Regierung in Petersburg sich fragen musstc: 
was kann der Grund jener Ablehnung und dieser Be- 
günstigung unserer polnischen Feinde, dieser Annäherung 
an die einzige uns unter allen Umständen entgegen- 
wirkende Grossmacht sein? und wenn sie sich nach der 
naheliegenden Beantwortung dieser Frage entschloss, sich 
nach einer andern Anlehnung, einem andern sichern 
Bundesgenossen umzusehen. Derselbe schien sich in Paris 
zu finden, wo man sich schon längst von selbst angeboten, 
aber bisher in den massgebenden Kreisen an der Newa 
keine entscheidende Anziehungskraft gefunden hatte. So 
entstanden die Kundgebungen in Kronstadt und ihre 
Fortsetzung in Toulon und in Paris, so das Ein- 
verständnis« zwischen dem absolutistischen Zaren- 
thum und der französischen Republik, das sich zu einem 
Bündnisse verdichten kann, wenn die deutsche Politik, 
die das Einverständniss , wie gezeigt, hervorrief, nicht 
einen andern Weg, d. h. den vjii Bismarck bis lHiy:.- 
verfolgten und 1896 in den Hamburger „Enthüllungen" 
indirekt empfohlenen oder doch einen ähnlichen ein- 
zuschlagen sich entschliesscn könnte. 



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VI. 

Mit dem Citat aus Bismarcks Schreiben an Andrassy 
waren wij mit" iimem Gebii'tt- iimji^ins.il., ilas eiinrii t:itjcnc:ti 
Abschnitt zu fordern scheint, in dem wir, hauptsächlich 
in Beispielen aus kritischen Tagen und Wochen unsern 
ersten Reichskanzler gleichsam als Seelsorger, oder wie 
es der alte Kaiser selbst einmal ausgedrückt hat, als 
„Sceleiiarzt" seines Monarchen am Werke sehen werden. 

Man wolle das folgende Kapitel nehmen, wie es ge- 
meint ist. Es ist keine Uüdcrstürmcrei , und ebenso 
wenig die neidische Neigung des Demokraten, das Strah- 
lende zu schwärzen, sondern einfach die Erfüllung einer 
Pflicht im Dienste der Wahrheit, einer Pflicht, die sich 
um so nachdrücklicher aufdrängt und um so unabweis- 
barer empfunden wird, wenn man das Glück gehabt und 
nach Kräften wahrgenommen hat, Blicke hinter den 
Schleier thun zu können und etwas von dem Innern der 
Vorgänge zu sehen oder zu hören. Es ist eine Aufgabe, 
mit deren bereitwilliger und unerschrockener Erledigung 
man sich bei der Vorsehung lür die Kennt siss , die zu 
sammeln gestattet war, gleichsam zu bedanken hat. Es 
ist auch nicht das Verymiyen . der Well t;twas yanz 
Neues und Sensationelles vorzusetzen, wenn hier der 



Persönlichkeit die Wahrheit, die volle und nichts als sie, 
zu bieten; denn es giebt unzweifelhaft noch einige an- 
dere Eingeweihte und Wissende, denen meine Mit- 
theilungen im Ganzen und Grossen nichts Unerhörtes, 
keine „Enthüllungen" sein werden, und die in die land- 
läufige Legende nur darum einstimmen, weil sie dazu 
Gründe zu haben glauben, die Tür mich keine zwingenden 
sind oder doch nichl das Gewicht hüben wie der Impe- 
rativ der Wahrheit und Gerechtigkeit. Und erträgt es 
denn der Meld, den ich im Folgenden zu charaktcrisiren 
unternehme, wie er wirklich war, etwa nicht, wenn man 
ihm einige, allerding- sehr wesentliche Ei sie nsc Ii alten ab- 
spricht, die zum höchsten, zum idealen Helden gehören? 
Schwächt es erheblich die dankbare Verehrung ab, die 
wir seinem Andenken zollen ? Ich habe es mir verneinen 
müssen. Schwinden vor der Kritik die ihm angedichteten 
Züge und Verdienste , so bleiben noch genug andere 
übrig, die ihn in seiner Art gross erscheinen lassen, 
namentlich wenn wir ihn mit Vorgängern vergleichen 
oder an Nachfolger denken. Rückt er vom ersten Range 
in den zweiten, so bleibt immerhin ein ungewöhnlicher 
Mann auf Thronen übrig; denn er überwand sich selbst. 

Doch genug der Entschuldigung, die denen, welche 
die nachstehende kurze Charakterskizze mit den dazu 
gegebenen Belegen lesen werden, vielleicht überflüssig 
erscheinen wird, da ihr ( jc;;c:istand sich in einigen dieser 
Beispiele indirekt, aber deutlich und unverkennbar selbst 
in die zweite Reihe stellt. Es handelt sich um das Helden- 
bild des ersten Kaisers in Neudeutschland und sein Ver- 
hältniss zu dessen erstem Kanzler, das im vorigen Ab- 
schnitt gestreift wurde, und ich stelle nunmehr auf Grund 
meines Materials die Behauptung auf, dass es der VVirk- 



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lichkeit nicht ihr Recht widerfahren lässt', wenn man 
gewisse , den Gang der Dinge bestimmende Züge , ge- 
wisse intellektuelle und moralische Eigenschaften von 
der rathgebenden Seite auf die massgebende überträgt 
und deshalb üütn Excmsuil vim der | i'>pu>aren Gesehldii- 
schreibung, auch der bessern, von der „Gründung des 
deutschen Reiches durch Wilhelm I." gesprochen wird. 
Es sollte statt des Wortes durch das Wort unter 
gewählt worden sein, zumal da fast jede Seite der be- 
treffenden Schrift*) ohne Mühe und Zwang für den Leser, 
unzweideutig und unwiderlegbar zeigt, wo die Triebfeder 
des Werkes und wer die Hauptperson im Drama war. 
Ich weiss, es ist Herkommen, facon de parier, Gebot 
der Etikette, und es scheint nicht viel auf sich zu haben. 
Aber es schadet, ganz wie ironische Rede von der Menge 
miss verstau den wird, es lässt das Volk in seinem Urtheil 
irre werden. Man sollte sich's daher abgewöhnen und 
den Unfug dem Byzantinerthum der Höflinge und ihrem 
Schweif in der Tagespresse überlassen, denen eine solche 
Ausdruckweise zweite Natur ist. Ks niiisj als hergebrachte 
i'hr;sse meinethalben firleijeiil lu:h im Interesse des mon- 
archischen i'nitzips erlaubt scheinen, zu berichten, der 
König habe die oder jene Schlacht kommandirt und ge- 
wonnen, obwohl das in der neuesten Zeit nur unter 
Friedrich dem Grossen und Napoleon dem Ersten wirk- 
lich vorkam und seitdem nie wieder. Aber oft wieder- 
holt dürfen solche Ungehörigkeiten ohne Gefahr nicht 
werden. Und nun gar die Gründung des Reichs durch 
den König , wo die Welt wissen müsste , dass der Ge- 
danke , die Wege und die Antriebe von Bismarck aus- 
gingen und höchstens die nothwendige Sanktion an 



— G4 — 

oberster Stelle mitzählt, die bei einzelnen Akten mühevoll 
genug zu erlangen war. Suum cuique I Und wird einem 
Prinzips mit schmeichelnden Phrasen und windigen Fik- 
tiu[u:[i ^Oiiicnt. ernstlich und au! 'die I);uilt. und nicht 
vielmehr durch gewissenhafte und unbefangene Darstellung 
des Sachverhalts, wo der Triller des Prinzips zuletzt ttueli 
das ihm als Massgebenden zukommende Theil Anerken- 
nung erhält? Ich habe demzufolge die Züge des ver- 
ewigten Kaisers, wie sie im Volksglauben leben, an 
meinem Materiale geprüft, sie, soweit sie zu demselben 
nicht stimmten, beseitigt, das Ganze auf seine wahren 
Dimensionen zurückgeführt und geltend zu machen ver- 
such'., dass der Held neben seinen unleugbaren Voraigen 
auch Mängel und Schwächen hatte, mit denen er, allein 
vor seine Aufgabe gestellt oder ungeschickt und zaghaft 
berathen, kein Held geworden wäre. Er leuchtet als 
Fürst im Glänze seiner Krone am Firmamente der Ge- 
schichte, aber als Charakter wie der Mond nicht mit 
eignem Lichte. 

Kaiser Wilhelm war eine vornehme Natur, ein Gentle- 
man von Geburt, wohlwollend, gütig und billig. Er 
war ein Regent von seltener Gewissenhaftigkeit und 
Pflichttreue gegen sein Amt und sein Volk, wenn ihm 
die Pflicht einmal klar war — einer Gewissenhaftigkeit, 
die ihn noch im hohen Greiscnalter zu rastloser Arbeit 
bewog, die aber bei der Art, wie er sein königliches 
Amt auffasste, und bei dem nicht sehr bedeutenden Um- 
fange seines Wissens seinen Mitarbeitern bisweilen un- 
bequem wurde und Stockungen des Geschäftsganges ver- 
ursachte , indem er Alles selbst bestimmen zu müssen 
glaubte und doch nicht immer sofort das nöthige volle 
Verständnis;, dazu bereit hatte. Er war ferner in der 
alten absolutistischen Zeit geboren und gross geworden, 



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und er war, als er auf den Thron gelangte, nur Militär 
gewesen und dadurch an Befehlen, dem unweigerlich 
und heditiLiiinj; zu ^horchen ist, gewöhnt worden. 
Er überwand diese Gewohnheit nach Möglichkeit , aber 
seine Treue gegen die neue Einrichtung, die sie be- 
schrankte, ist ihm wohl niemals Herzenssache geworden, 
sondern Sache des Verstandes, Unterwerfung unter ein 
notwendiges Uebel , Fügsamkeit gegen einmal über- 
niHiimcno Vt: - : irliohUmy ;h':.mi'1h-ti. Kr s!;md -lu. laun. 

gm zu den auswärtigen Angelegenheiten überzugehen, 
geraume Zeit unter dem Einflüsse von Familien traditionen, 
die im Allgemeinen zwar dem deutschen Interesse ent- 
sprachen, ihm aber doch nicht immer die rechten Wege 
wiesen, und mehr als einmal war die Hofintrigue in 
Gestalt hochstehender Damen nicht ohne zeitweilige Er- 
folge am Werke, dem Kanzler seine Kreise zu stören, 
indem sie, hak; c.ntrmithi^er.d, bald aneUemd, heute als 
warnende, morgen als anklagende Stimme, meist aber 
als Friedensengel dem Ohre des Monarchen nahte. Ge- 
wiss, es war eine steile Bahn, auf die ihn sein hoher 
Beruf, im Innern die alte Welt mit der neuen zu ver- 
söhnen, nach aussen die deutsche Frage zu gedeihlichem 

Ende 211 bringen, hi^L-ilulitc, und es ^cliürU' ein heroischer 
Sinn dazu, um über der Steilheit vor sich und den Ab- 
gründen neben sich mehr das Ziel zu sehen und Schritt 
vor Schritt in Gedanken zu behalten, und dieser Sinn 
iindet sich nur bei ausserordentlichen Menschen als Natur- 
anlage. Andern muss er von aussen kommen und immer 
aufs neue erweckt werden. Zu diesen zählte König Wil- 
helm. Rascher Blick und kurz entschlossener Geist in 
entscheidenden Momenten waren nicht unter seinen Ga- 
ben, und so währte es in der Regel lange, bis es bei 
ihm zum vollen Erfassen seiner Aufgabe und zu dem 



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— 66 — 

entsprechenden Entschlüsse kam. Aber den Mangel glich 
ihm das Glück aus, das Glück oder die Fügung, die ihm 
einen Rathgeber mit jenem Blick und jener Entschlossen- 
heit an die Seite stellte, der allmählich sein Alter ego 
wurde. So in diesen Fragen, so auch in andern, die 
ihnen folgten. Immer bedurfte es bei zweifelhaften Lagen, 
bei Scheidewogen , hei grrjsscn Wagnissen des wein-m 
Sehkreises und der starkem Seele Bismarcks, wenn der 
Monarch sich schliesslich als Held bewährte und den 
Sieg behielt. Nicht, dass dem Küni^c der persönliche 
Muth gefehlt hätte, der physische Gefahren verachtet; 
im Gegentheil , er besass ihn reichlich. Aber vor 
Schwierigkeiten anderer Art, wo ein tüchtig Mass mora- 
lischen Muthes von Nöthen war, wenn er davor behütet 
sein sollte, die Flinte ins Korn zu werfen, wäre er zurück- 
gewichen, wenn ihm niöht in einem Entschlossenem und 
der Gelegenheit überhaupt Gewachsenem Beistand ge- 
worden, wenn ihm nicht durch Hinweis und Antrieb, 
Zuspruch und Aufrichtung unter die Arme gegriffen und 
der Rücken gestärkt worden wäre. Nach solchen Stun- 
den der Aufrichtung und Stärkung ging es dann freilich 
unverzagt auf die Schwierigkeit und Gefahr los und herz- 
haft weiter; denn nunmehr hatte der physische Muth 
seine Rolle zu spielen. 

Wlire das v.u viel behauptet oder zu weni» r Man 
höre einige von den Beispielen, die zu Gebote stehen. 
Mein Tagebuch erzählt — wie immer nach sofort nieder- 
geschriebenen Aufzeichnungen — vom. 27. September 
188S: „Abends nach Tische sagte der Fürst (in Friedrichs- 
ruh, wo ich damals mehrere Wochen mit dem Ordnen 
seiner wichtigern Papiere beschäftigt war), indem er von 
seiner Zeitung aufblickte: Ja, von 1840 an haben die 
Fürsten angefangen, zu degeneriren. Davon will ich Ihnen 



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spätere Kaiser Wilhelm noch nicht für seinen Bruder 
e Regentschaft führte, war eine reaktionäre Intrigue im 



Gange, 



Ort — und sagte ihm Alles. Er war jedoch nicht er- 
schrocken über den Plan und sofort bereit, zurück- 
zutreten. Es war ihm ganz gleichgültig. Ich aber stellte 
ihm vor: Was soll da werden? Es ist doch Ihre Pflicht, 
auszuhaken. Lassen Sie gleich Mritic-nlYcl kommen, und 
\-LTtii(.:n.'ii Sie's ihm. ■ Der kam denn auch, nachdem 
er ein Weilchen gezögert und sich entschuldigt hatte, 
er sei krank, und die Sache unterblieb. — Dann in 
Babelsberg, als ich berufen wurde, um Minister zu wer- 
den. Da hatte er die Abdikittionsurkimdi: achan unter- 
zeichnet in suhlt Yen: weif hnin , und c:\-n ab: ich mich 
erbot, auch gegen das Parlament, die Mehrheit des Ab- 

;;i'n[<lriHt:rihaiw:-;, uiil ihm anzuhalten , üerriss er das 
und zugleich eine lange Liste liberaler Zugeständnisse, 
die er aufgesetzt hatte. Er hatte jetzt Muth und Ver- 
trauen gekriegt und Gefühl für seine königliche Pflicht, 
die ihm bisher ganz einerlei gewesen war , und die er 
hernach fest genug hielt, so dass der hochsclige Herr 

Jahren zuweisen schwer gemacht hat, da seil! Yerständmss 
der Dinge beschrankt war. und er sich nur langsam in 
Neues hineinfand.' " 

Bei einer Unterredung, die ich am II. April 1S77 
mit dem Kanzler hatte, und in der hauptsächlich von 



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— OS - 

der Kaiserin Augusta, der „Bonbonniere" Ihrer Majestät *) 
und ihrer rührigen Geyen Wirkung sjcjjcn seine Politik 
gesprochen wurde , äusserte er , wieder nach meinein 
Tagebuche, unter andern) : „Der Kaiser wird alt und 
lässt sich von ihr immer mehr beeinflussen. Er ist nie- 
mals der starke Charakter gewesen, den Manche ihm 
nachrühmen. Ich weiss noch, in der Konfliktszeit, wie 
es am ärgsten war, da kam er einmal aus dem Bade 
und der Sommerfrische zurück , wo ihm seine Frau vor 
der Opposition Angst gemacht hatte. Ich fuhr ihm bis 
Jüterbog entgegen , Abends , und setzte mich zu ihm in 
den Wagen. Er war sehr niedergeschlagen, dachte an 
das Schafott und hatte die Idee, abzudanken. Ich sagte 
ihm, ilahs ich nicht jjlauU', die Dinye ständen so schlimm, 
die Prcusscn waren keine Kranzoscn , und wenn er an 
1 .■;(■; wis.; den .Sech/ehnlen dachte, so sollte er sieh doch 
lieber an Karl den Ersten erinnern, der für seine Ehre 
und sein Recht gestorben wäre. Wenn man ihn köpfte, 
so stürbe er auch für seine Ehre und sein Recht. Was 
mich beträfe , so wollte ich das auch gern leiden, wenn 
es sein müsste. Da hatte ich ihm an's Portepee ge- 
griffen, zu ihm als König und Offizier gesprochen. Er 
wurde heiterer, und als wir nach Berlin kamen, war er 
wieder ganz verständig. Abends bewegte er sich ganz 
munter in grosser Gesellschaft." 

Aeknlieh befiehl et e der Kanzler einige \lonato spater. 

den 19. Oktober, in Varzin über denselben Vorfall. Mein 

] M\:ii-L>:i V. SLilkillil.-.. fi : ; 1 1 . h 11. 1 1 l^a-l ! 'i , kori^-. A.I-- 
wiirtige Konbuns sollen die lüsctlüfc Dupanluup und Mcmlillod J(c.-- 



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Tagebuch giebt seine Worte unter dcmselhen Datum 
wieder wie folgt: „Beim Thee gedachte er wieder der 
Konfliktszeit und seines damaligen Gesprächs mit dem 
Könige , das nach dieser Relation aber bald nach der 
L'nti'iii.-dim^ in llalv.k!>r:-M st;i',lm>!'umkr] ii, : it[<- und ein fr 
gewisse Wendung aus ihr entlehnte. ,In der Konflikts- 
zeit', so erzählte er jetzt, , dachten sie an allerlei, was 
sie uns anthun wollten — Schafott, oder wenigstens 
konnte ich mein Vermögen verlieren. Ich nahm infolge 
dessen so viel Geld auf nieine Guter auf, als nur anging. 
Man nannte mich damals den preussischen Strafford — 
Sie erinnern sich, der Minister, der in der englischen 
Revolution 1641 vom Parlamente zum Beile verurtheilt 
wurde. Der König hatte auch Angst vor dem Köpfen; 
die hatten ihm die Weiber eingeredet, unten in Baden. 
Er wollte abdanken, wenn er keinen kriegen könnte, der 
mit ihm regieren wollte. (Er wusste ja schon von Baben- 
berg, dass Bismarck dies wollte und ihn vor keiner 

Majoritiif di s Ab^i'i.i JiU'Urr.li.iLisr.s verlassen würde.) Als 
ich ihm auf der Eisenbahn entgegen gefahren war, war 
er ganz kleinlaut und gedrückt. Zuletzt fragte er mich: 
,Wie, wenn sie uns nun Beide aufs Schafott schicken f — 
Ich erwiderte zuerst blos : ,Und dann ?' Darauf aber sagte 
ich: .Sie haben Ludwig den Sechzehnten vor Augen; 
aber erinnern Sie sich an Karl den Ersten, der ist doch 
mit Ehren gestorben.' — Das beruhigte ihn sehr; ich 
hatte an sein Offiziers gewissen gerührt.-' 

1863 fand sich Bismarck schon wieder vor die Auf- 
gabe gestellt, seine Kunst und Wissenschaft als Seelen- 
arzt seines Herrn zu bewähren, indem er in der jetzt 
brennend gewordenen deutschen Frage ihn vor falscher 
Wahl bei schwerer Versuchung abhielt und einen Ent- 
schluss verhinderte, der seinen verhängnissvollen Charakter 



an der Stirn trug, und den der König aus Rücksichten 
des Gt; Iii Isis gleichwohl zu fassen im Begriffe stand, ja 
zuletzt schau halb «efasst halte. Ich meine den Fürsten- 
tag jenes Jahres und diu dort beabsichtig™ l.'mgestalumy 
des deutschen Bundes unter persönlicher Bethciligung 
des Königs Wilhelm an dem Werke, das, wenn es zu 
Stande gekommen wäre, die natürliche Entwicklung der 
Dinge nicht nur aufgehalten, sondern geradezu auf den 
Kopf gestellt haben wurde. Rekapituliren wir kurz den 
Plan und Hergang der über den grössern Ereignissen 
der nächsten sieben Jahre halb vergessenen Angclegen- 

j'.L'ii . und Ui.s-t.-ji uiii /.'im Seil Ii iss e Bi.-.iiiiii ek v,u-([cr ini: 
eigenen Worten sprechen. 

Bekanntlich ging der Österreich Ische Plan einer 
Reformirung der Bund es Organisation , unter sehr un- 
verhohlener Anerkennung der Gefahr des bisherigen Ver- 
hältnisses empfohlen und selbst Manchem, der als Patriot 
galt,*) nicht unwillkommen, dahin, dass an die -Spitze 
des künftigen Bundes ein Direktorium von fünf Fürsten 
treten, dass der Bundestag die laufenden Geschäfte weiter 
verhandeln, dass aber ausser ihm, als Legislative, aus 
den Souveränen ein zeitweilig zusammentretendes Ober- 
haus und daneben ein aus Delegaten der Landtage in den 
Einzelstaaten gebildetes und mit berathender Befugniss 
ausgestattetes Unterhaus geschaffen werden sollten. Ein 
Fürst enkong res s sollte über die Annahme dieses Vor- 
schlags, der, genau besehen, weder ffir Preussen, noch 
für das eigentliche Deutschland eine Verbesserung, wohl 
aber bedenkliche Punkte enthielt, Entscheidung treffen. 



*) Ich denke dabei vorzüglich an Liberale, denen das damalige 

Regiment in l'ri:us-n-n tikIi! ^e:!<-l. l. 15. den ILei-zog krnst von Koburg- 

Gnlhn und seine .Mynmdonen , Gustav Freytag und ähnliche Hof- 
demotraten. 



In der zweiten Hälfte des Juli reiste König Wilhelm in 
[irul''UiiiL^ l!isin;i: cks zur Hadrian naci: Gii^tt-iu. I tiei 
machte ihm der Kaiser Franz Josef seinen Besuch, um 
mit ihm unter Vorlegung einer Denkschrift den Plan 
vorläufig zu besprechen und ihm mitzutheilcn, dass der 
Fürstenkongress zur Beschlussfassung über denselben 
auf den 16. August einberufen werden solle. Der König 
wies das Projekt nicht ohne weiteres zurück, sprach aber 
gewisse Bedenken aus, die er dem inzwischen wieder 
abgereisten Kaiser brieflich wiederholte, und denen er 
nach Bismarcks Rath den Vorschlag folgen Hess, die 
Frage vor ihrer Entscheidung durch die Fürsten erst 
durch Ministerkonfei enzen prüfen zu lassen. An . dem- 
selben Tage lehnte er die ihm mittlerweile zugegangene 
offizielle Einladung zum 16. August tdegraphisch in be- 
stimmten Worten ab. Schon drei Tage darauf aber er- 
folgte eine neue, welche den Vorschlag enthielt, falls 
die Badekur das Erscheinen Sr. Majestät in Frankfurt 
nicht gestatte, wolle er sich durch einen bcvollmiiclnigtai 
Prinzen seines Hauses vertreten lassen. Auch dies wurde, 
selbstverständlich auf Anrathen des -Ministers , von der 
Hand gewiesen. Auf der Weiterfahrt nach Baden, wo 
der letztere den Monarchen wieder begleitete, fand ein 
mehrtägiger Besuch bei der Konigin von Baiern, deren 
Gemahl sich bereits nach Frankfurt begeben hatte, und 
in Wildbad statt, wo die verwittwete Königin von Preussen 
Elisabeth verweilte. Diese Zeit und der daran sich 
schliessende Aufenthalt in Baden waren mit Verhand- 
lungen über das Für und Wider in der Sache, Erscheinen 

des Könige Wi!hi:lm mit . [c:in Fiiratiintugi; nr.cv Weg 
bleiben, was Scheitern des Projekts der Ocstcrreichcr 
bedeutet hätte, ausgefüllt. Bismarck empfahl beharrlich 
Festigkeit und Enthaltung. Die fürstlichen Damen da- 



gegen waren Anfangs allesammt entgegengesetzter 
Meinung, also fiir Nachgeben und Mitwirken, die re- 
gierende Königin ebenso wie die verwittwete, die baicri- 
sche , obwohl bekanntlich eine preussische Prinzessin, 
und die Grossherzogin von Baden, die Tochter des 
Königs, Von Berlin her arbeitete die dortige öster- 
reichische Partei, deren eifrigstes Mitglied der erwähnte 
frühere preussische Minister des Auswärtigen v. Schleinitz 
war, rührig für die persönliche Theiiuahmc des Königs 
Wilhelm an der Frankfurter Versammlung und an der 
Abstimmung über den Wiener Plan. Der Monarch war 
jetzt unentschieden, ob er nicht am Ende doch zu der 
Versammlung gehen solle, und wenn er sich dem Rathe 
Bismarcks geneigter fühlte, so drohte ein letzter Versuch, 
ihn umzustimmen, mit einer Wendung zu ;in;:erin F.m- 
schlusse. Die Bemühungen, ihn zu gewinnen, kulminirten 
in der Ankunft des Königs Johann von, Sachsen, der 
in Uoglt/rnnf; seines Ministers y. Heust in Hüden erschien, 
um im Namen der in Frankfurt versammelten Fürsten 
eine nochmalige Einladung zur netheiligung an ihrem 
Werke zu überbringen. Der König Wilhelm schwankte 
schon auf die Nachricht hin, dass dieser Besuch be- 
absichtigt sei, und war schwer von der Vorstellung ab- 
zubringen, dass er „einem Rufe folgen müsse, den ihm 

ein ^eknn-Le;- Il.'inj.t. ^'eiehsLeii ^--s Briefträger zu Uber- 
inltteln im Begriff stehe". Der König von Sachsen, be- 
kanntermassen ein sehr begabter und bei König Wilhelm 
in hoher Achtung stehender Herr, hemühtc sich, als er 
dann eintraf, unterstüzt von Bcust, mit so viel Eifer und 
so lebhaft begründeten Argumenten ad hominem, Se. 
Preussische Majestät zur Reise nach Frankfurt zu be- 
wegen, dass ihm dies momentan beinahe gelungen wäre. 
Als die sächsischen Herren sich wieder entfernt hatten, 



befand sich König Wilhelm in der höchsten 
Erregtheit, und als Bismarck ihm nach langer 
einen endgültigen Absagebrief abgerungen hat 



Diese Darstellung beruht zum grössern Theile, d. h. 
in den Vorgängen nach Gastein, auf Mittheilungen, die 
mir Bismarck im Spätsommer 1883 zu Friedrichsruh 
machte. Ich ergänze sie aus einem Tagebuchblatte, das 
am It. September 1870 bald nach einem Theege spräche 
über denselben Gegenstand geschrieben wurde, und wo- 
bei ebenfalls der Kanzler selbst der Erzähler war. „Ja, 
es gab damals harte Kämpfe", so schloss er eine Er- 
innerung an seine sauere Arbeit in der Schleswig -hol- 



Nei- 



der König von Sachsen dagewesen war, und 
»eh Frankfurt wollte, war's ähnlich. Ich habe 



ihn buchstäblich im Schweisse meines Angesichts davo 
abgebracht, in Baden." Ich fragte nach einigen Zwischer 
reden, ob der König denn wirklich zu den übrigen Fürste 
gewollt habe. „Ganz gewiss", erwiderte er. „Ich hab 
ihn mit Mühe und Noth an den Rockschössen fesl 



gemacht hätte. Die Weiber waren alle dafür, die Königin 
Wittwe voran, Augusta u. s. w. Der verwitrweten erklärt 
ich, dass ich nicht Minister bliebe und nicht wieder mi 
nach Berlin ginge, wenn der König sich uberreden Hesse 
Da sagte sie, das thäte ihr leid, aber wenn das meim 
ernstliche Absicht wäre, so müsste sie die ihrige ändern 
und sie würde dann, allerdings sehr gegen ihre Ueber 
zeugung, in dieser Richtung auf ihren Schwager wirken 



— 74 - 

Es wurde mir aber immer noch sauer genug gemacht. 
Er lag, als der König von Sachsen und Bellst. bei ihm 
gewesen waren , auf dem Sofa und hatte Weinkrämpfe, 
und ich war, ais ich ihm den Brief mit der definitiven 
Weigerung abgerungen hatte, so schwach und matt, dass 
ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Als ich 
das Zimmer verlicss , taumelte ich und war nervös so 
aufgeregt, dass ich beim Zumachen der Thür zum Vor- 
zimmer draussen die Klinke abriss. Der Adjutant vom 
Dienst fragte mich, ob ich unwohl sei. ,Nein', erwiderte 
ich, Jetzt ist mir wieder wohl. 1 Beusten aber erklärte 
ich , dass ich beim Kommandanten des preussischen 
Regiments in Rastatt nütliiwivifalls Mannschaft zur Be- 
setzung des Hauses nachsuchen werde, um unsern 
Herrn v -r \\\r\\:. rcv Yer-Lu:iiiiii ^ und iilin'iüliirr Gefähr- 
dung seiner Gesundheit zu schützen." Kendel] erinnerte 
daran , daas der Minister auch beabsichtigt habe , den 
sächsischen Kollegen bei etwaiger Wiederkehr in der 
Sache verhaften zu lassen. Ihm selbst, Bismarck, 
war in der That jetzt wieder wohl: er hatte den 
Sieg behalten per tot discrimina rerum, er hatte seinen 
König, Preussen und ganz Deutschland vor einem 
Schritte bewahrt, der unabsehbar traurige Folgen 
haben musste, der die ganze Zukunft, deren wir uns 



ihm lebende deutsche Gedanke feierte einen grossen 
Triumph , der ihm die Bahn frei machte zu weiteren 
Siegen. 

Theilweise in dasselbe Kapitel gehört der Inhalt der 
oben erwähnten Erinnerung Bismarcks an seine Mühen 
in der schleswig-holsteinischen Angelegenheit, von denen 
er am II. September lM;o unmittelbar vor der Erzählung 



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der Vorgänge in Baden sprach. Mein Tagebuch be- 
richtet darüber zunächst Folgendes ; 

Zuletzt kam die Rede auf die Politik der letztver- 
gangenen Jahre, und der Kanzler äusserte: ,Am stolze- 
sten bin ich doch auf unsere Erfolge in der schleswig- 
holsteinischen Sache, aus der man ein diplomatisches 
Intrigucnspiel fürs Theater machen konnte. Oesterreich 
freilich konnte nach dem , was über sein Verhalten in 
den Bundestagsakten stand, worauf es doch einige Rück- 
sicht nehmen mnsste , fürs erste nicht gut mit dem 
Augustenburger gehen. Dann wollte es aus der Ver- 
legenheit, in die es mit dem Fürstentage gerathen war, 
mit guter Manier herauskommen. Was ich wollte, habe 
ich gleich nach dem Tode des Königs in einer Sitzung 
des Staalsraths gesagt, in einer langen Rede; Die Her- 
zogthümer für Preussen. Die Hauptslclle hatte der 
Protokollführer weggelassen — er dachte wohl, ich hatte 
zu stark gefrühstückt, und es würde mir lieb sein, wenn 
das wegbliebe, ich sorgte indessen, dass es wieder hinein- 
ijesem wurde. Mein Gedankengang war aber achwer 
durchzuführen. Nicht mehr als Alles war dagegen: die 
Oester reicher, diu Kn^H : .:'dcr, dir- liiuTak-n um! die nioh;- 
liberalen Kleinstaaten, die Opposition im Landtage, ein- 
flussreiche Leute am Hofe , massgebende , die Mehrzahl 
der Zeitungen. Ja, es gab damals harte Kämpfe, die 
härtesten mit dem 1 lofe > auch mit ihm (scilicet, dem 
Könige] und seiner Unschlüssigkeit." 

Man vergleiche damit das vom ig. Oktober 1S77 
datirte Blatt meines Tagebuchs über ein Gespräch mit 
dem Kanzler in Varzin. Es heisst da, wie immer in 
diesen Memoiren, nach unverzüglicher Niederschrift des 
Gehörten : 

„Wir unterhielten uns (beim Diner) vom Ausgange 



des Krieges mit Frankreich, und der Chef erzählte : ,Der 
König wollte mir, als ich Fürst wurde, Elsass und Loth- 
ringen ins Wappen geben. Ich hätte aber lieber Schles- 
wig-Holstein drin gehabt; denn das ist die diplo- 
matische Kampagne, auf die ich am stolzesten bin.' — 
Holstein fragte : ,Sie wollten das gleich von Anfang an ?' - 
Ja', erwiderte der Fürst, gewiss, gleich nach dem 
Tode des Königs von Dänemark. Es war aber schwer. 
Alles war dabei gegen mich: die Kronprinzlichen, er 
und sie , von ivngen di-r Von* amll-schaft, Si.'rcnissimiiH 
selbst, zuerst und lange Zeit, Oesterreich, die kleinen 
deutschen Staaten, die Engländer, die es uns nicht 
gönnten. Mit Napoleon da ging es, der dachte uns zu 
verpflichten. Endlich waren bei uns zu Haus die Libe- 
ralen dawider, die auf einmal das Fürstenrecht Tür wichtig 
hielten. Es war aber nur ihr Hass und Neid gegen mich. 
Auch die Schleswig -Holsteiner wollten nicht. Die Alle, 
und was weiss ich noch. Wir hatten damals eine Staats- 
rathssitzung, wo ich eine der längsten Reden hielt, die 
ich je abgeschossen habe, und Vieles sagte, was den Zu- 
hörern unerhört und unmöglich vorgekommen sein rauss. 
Ich stellte z. B. dem Könige vor, alle seine Vorgänger 
hätten dem Staate etwas hinzugefügt, nur sein hoch- 
seliger Herr Bruder nicht; ob er's denn auch so halten 
«■olle? Nach ihren erstaunten Mienen zu urtheilen, 
dachten sie offenbar, ich hätte zu stark gefrühstückt. 
Costenoble führte das Protokoll, und wie ich mir das 
hernach ansah, fand ich, dass gerade die Stellen, wo ich 
am deutlichsten und eindringlichsten geworden war, weg- 
gelassen worden waren. Ich machte ihn darauf auf- 
merksam und beschwerte mich. Ja, sagte er, das wäre 
richtig, er hätte aber gemeint, dass mir's lieb sein würde, 
wenn das wegbliebe. Ich erwiderte; ,Ganz und gar nicht. 



Sie dachten wohl, ich hätte; einen gepfiffen? Ich 
steht aber darauf, dass es so, wie ich es gesagt llE 
hineinkommt."- — Der Minister bemerkte zwar, als 
von unsem Abenteuern in Frankreich sprachen, dass 
nur noch für Dienstsachen ein gutes Gedächtniss h 
- „z. B. wenn ich etwas in Depeschen oder sonsl 
Geschäften gelesen habe", fügte er hinzu — „in and 
Dingen bin ich unsicher." Aber es scheint damit ni 
so arg zu sein; denn der oben mitgetheilte Bericht < 
spricht in allen wesentlichen Punkten der 



über diese Vorgär 



Wir koi 



Iiis 



es ihn in seinem Verhältnis? zu Wilhelm I. als treibendes 
und stärkendes Element oder, um das frühere Bild wieder 
üuüutlctnneil, ;ils ik-dumirzl de:. Muiiardicn mit besondiir.- 
hellem Licht beleuchtet. Der Staatsmann, so sagte ich 
im Obigen ungefähr, vermeidet den Krieg, die gewalt- 
sam r I .i'i.sung politisch er l-'rai;i'n , so lange als irguml 
möglich ; denn er ist und bleibt unter allen Umständen 
ein Uebel. Ist jedoch der ultima ratio regum ohne Gefahr 

schleunigt er seinen Ausbruch, so lange seine Aussichten 
auf Sieg noch günstiger sind, als sie voraussichtlich in 
der nächsten Zukunft sein werden. Solche Beschleuni- 
gung ist Gebot des Verstandes und der Pflicht, kein 
Tadel, sondern hoher Ruhm und Werth des Dankes patrio- 
tischer Herzen. Ein derartiger Fall war eingetreten, als 
nach 18(56 Deutschlands Entwickdung zu voller Einheit 
begonnen hatte. Der Verdi uss der Franzosen über Sadowa 



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— 78 — 

war beispiellos und entfesselte alle ihre Leidenschaften. 
Nicht blos ihr Stolz war verletzt, ihr Neid zur Flamme 
entfacht, auch ihr Interesse sollte gefährdet, ihre Sicher- 
heit durch den werdenden Staat, die neue Grossmacht 
an ihrer Ostgrenze, bedroht sein. Der Eifer gegen 
Preussen ergriff alle Kreise, und der Kaiser Napoleon 
hatte für seine Krone zu fürchten , wenn er nicht auf 
friedlichem Wege oder mit den Waffen in Abtretungen 
von Preussen Beruhigung über dessen Zuwachs erlangte 
:.(Ut wenn er dem Ni .u [deutschem lhir.de LVstalicte, sich 
über die Mainlinie auszudehnen. Er versuchte zuerst 
den friedlichen Weg und schritt dann durch eine Militär- 
reorganisation und durch Verhandlungen wegen eines 
Offensivbündnisses mit Oesterreich und Italien zur Vor- 
bereitung des Krieges, der von jetzt an nur noch eine 
Frage der Zeit war, zumal da am Hofe von St. Cloud 
l;,il:1] uUrEiinomane St im jvjcii Iii: - ihn sprachen. Bismarck 
wusste dem Allen gegenüber den Frieden zu wahren, so 
lange es geboten und thunlich schien, so lange Angesichts 
der neuen Aera in Frankreich noch einige Hoffnung 
vorhanden war, die Vollendung des deutschen Werkes, 
ohne Störung von dorther und somit ohne Blutvergiesscn 
zu bewirken, und so lange man deutscherseits noch nicht 
so stark war, um andernfalls des .Sieges nach mensch- 
licher Rechnung sicher zu sein. Er beobachtete nach 
zwei Richtungen eine dilatorische 1'oiitik : er liess die 
ebev die Seheide des Mains z , .;satr.itiensl rebenden Patrioten 
von Nord und Süd, obwohl ihnen selbst eine süddeutche 
Regierung zuneigte,*) ohne offene Ermuthigung und die 
wiederhol ton An erbiet linken und Ansprüche der französi- 
schen Diplomatie ohne bestimmte Antwort, so dass dem 



s ' Die bidiache. 



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— 79 — 

Kaiser der Franzosen noch ein Rest von Hoffnung auf . 
Verständigung blieb. Er gab endlich in der Luxemburger 
Frage den Wünschen Napoleons nach, soweit es ohne 
grossen Nachtheil geschehen konnte und zum Beweise 
seiner Friedensliebe erforderlich schien. Geduld und 
Vorsicht hatten bisher alle seine Schritte bezeichnet. 
Aber vom Frühjahr 1870 an empfahl sich eine andere 
Politik. Deutschland war nunmehr zu erfolgreichen 
Kamillen Inn reich und yt:ti.;.-=.tiLft und rni'.it ii-isch vorbereitet, 
und andererseits hatte sich Bismarck inzwischen fest über- 
zeugt , dass das neue konstitutionelle Regiment in Paris 
den Angriff auf die Nachbarn im Osten nicht mehr lange 
verzögern könne. Der Gegner wurde allmählich militärisch 



■1- Tfr.f 



Verzuge gewesen, ho war jetzt augenscheinlich Gefahr 
darin, und daraus i'i g;ii > sie.il IVu den de-.il -eilen Si aats^'.anu 
der Zwang, die Politik des Aufhaltens der Entscheidung mit 
der Politik der tieschleimiguiig lies 1 "n^ufhaltsameu zu ver- 
tauschen und einen praktikablen Weg zu finden, wo die 
krinipfbeyierigen , aber noch nicht völlig kam] il'bei -eife:i 
Franzosen so zu fassen waren, dass sie aus der beiderseits 
vira den Regierungen beobachteten Reserve heraustraten, 
an den Degen schlugen und eine 1 [eräusforderung erli essen, 
ohne dass für das zuschauende Europa eine vorgängige 
Beleidigung oder sonst ein zwingender Anlass ersicht- 
lich war. Mit andern Worten : es war der Tropfen zu 
finden, der noch fehlte, um den siedenden Kessel in 
Paris gerade jetzt zum Uebcrlaufcn zu bringen oder, um 
es offen herauszusagen; die Franzosen mussten gereizt 
werden, und ihre thörichte Furie machte es möglich, es 
in einer Weise zu thun, dass sie den neutralen Mächten 
als frivole Friedensstörer erschienen. Der Blick und die 



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Kunst, eine solche Falle wirksam zu bauen und aufzu- 
stellen und den besten Köder lur den missgünstigen, 
dünkelhaften gallischen Hahn zu finden , war auf der 
Berliner Wilhelm Strasse vorhanden. Die Gelegenheit da- 



■ Ma; 



mg 



der Königin Isabclla erledigten Thron mit dem Erbprii 
von Hohenzoilern zu besetzen, der sich in mehrfacher 
Hinsicht empfahl. Er war katholisch wie das spanische 
Volk, ei war ferner als Enkel der Stephanie Beauharnais 
mit dem Kaiser Napoleon näher verwandt als mit dem 
Könige Wilhelm, und war endlich ein Schwiegersohn des 
Königs von Portugal, dem man in St. Cloud die spanische 
Krone eher gönnte als dem Herzoge von Montpensier, 

von spanischen Blättern unter den möglichen Kandidaten 
für den leergewordenen Thron genannt worden. Im 
Februar [869 wies Salazar auf ihn als dtiH nachsl seinem 
Schwiegervater , dem König von Portugal , empfehlens- 
wert besten hin. Schon jene Pressstimmen bewogen die 
französische Regierung, die sie vermuthlich und vielleicht 
nicht mit Unrecht als Fühler der Regentschaft betrachtete, 
durch ihren Botschafter in Berlin, erst beim Staatssekretär 
v. Thiie , dann beim Bundeskanzler selbst, anfragen r.u 
lassen, wie man sich dazu stelle. Benedctti hatte diesem 
nach mi'melickcir. Au: trage Napoleons , in gclintlesrer 
Form hinzuzufügen, die französische Nation werde die 
Kanili'.h'.iir eines Trinken vmi 1 kiHt.-n/: illera nicht dulden, 
und sie müsse deshalb verhindert werden , und in der 
That hatte die Pariser Presse bereits starken Einspruch 
„wider die preussische Kandidatur" laut werden lassen. 
Benedetti entledigte sich seiner Aufgabe mit der Er- 



klärung, seine Regierung nehme an den Vorgängen jen- 
seits der Pyrenäen das stärkste Interesse. Das war eine 
Drohimg, wie vorgeschrieben, in geiiiitje-ler Form, aber 
fiir einen Diplomaten von Personenkenntniss und weitem 
Blick deutlich; es war jedenfalls eine Beleuchtung, wenn 
eine solche für Bismarck noch nothi« •■■:n.i. Er wnssii; 
jetzt genau , woran er in der Sache war , und richtete 
sich darnach Tür die Zukunft. Für jetzt , da noch Vor- 
König Wilhelm würde bei der Unsicherheit der Zustände 
in Spanien dem Prinzen Leopold, wenn ihm die Krone 
angeboten werden sollte, wahrscheinlich nicht rathen, sie 
anzunehmen, und dessen Vater, der Fürst Karl Anton, 
denke seines Wissens ebenso, Bismarck war aber über 
die Frage gut unterrichtet. Mittlerweile nämlich hatte 
man die Krone dem Könige Ferdinand von Portugal, 
dann dem Herzoge von Aosta, einem Sohn Victor Ema- 
nuels, angeboten und sich in beiden Fällen eine Ab- 
lehnung geholt, und jetzt hatte die Regentschaft emstlich 
an den Erbprinzen Leopold gedacht und Salazar beauf- 
tragt, zu ihm zu reisen und ihn wegen eventueller Wahl 
mm Könige zu sondiren. Salazar suchte zuerst den 
preussischen Gesandten in München auf, an den er 
empfohlen war, und hatte dann durch dessen Vermitte- 
hing am 17. September im Schlosse Weinburg eine Zu- 
sammenkunft mit dem Fürsten Karl Anton, den er dem 
Plane nicht völlig abgeneigt fand, der jedoch Leopolds 
Bruder , den Fürsten Karl von Rumänien , anfänglich als 
geeigneter bezeichnete , welcher sich gerade auch in 
Weinburg befand. Derselbe wollte indessen nichts von 
einem Umtausche seines kleinen Thrones an der Dum bo- 
witza gegen den grösseren am Manzanares wissen , ver- 
mutlich weil dieser ihm auch als grösserer Sorgenstuhl 



t auf Leopold a 
nig Neigung, u 



Bedingungen, zu deren Verwirklichung damals kaum viel 
Aussicht war, z. B. die einstimmige Wahl des Prinzen 
durch dir Cortes , sich erfüllt hätten. Die Sendling Sa- 
hirs war alsu v. ;rlauli,; als ungefähr üi'^(:bni;;sli:>ä an 
zusehen. Mit dieser Auffassung entschloss man sich in 
Madrid zu Ende des Jahres iNGy, es wieder mit einer 
neuen Kandidatur zu versuchen: es war diesmal der 
Herzog Thomas von Genua, ein Neffe des Königs von 
Italien, um den man warb. Abermals jedoch erfolgte 
eine Ablehnung, obgleich sich die Lage in Spanien unter- 
dessen erheblich verbessert hatte. Da griff die Regent- 
schaft in ihrer Verlegenheit auf den Hohcnzollern zurück, 
und Salazar begab sich zum zweiten Male nach Deutsch- 
land, um ihm offiziell die Krone anzubieten. Da er bei 
seinem Besuche in Weinburg erfahren hatte, dass die 
Hohenzollern ihr Jawort von der Zustimmung des Königs 
Wilhelm ais des obersten Hauptes der Familie abhängig 
machten, so gab ihm der General Prim ein Schreiben 
an diesen mit, und er ging zuerst nach Berlin, um eine 
Audienz nachzusuchen. Diese wurde ihm nicht bewilligt. 
Wohl aber berief der König eine Sitzung des Gesammt- 
ministeriums, der auch der Kronprinz und Moltke bei- 
wohnten, und liess den Fürsten Karl Anton und dessen 
Sohn Leopold nach Berlin kommen. Die Minister , Bis- 
marck und Moltke empfahlen Annahme der Krone im 
Interesse des Staates, der Kronprinz äusserte Bedenken, 
der König stellte es schliesslich den Hohcnzollern an- 
heim, sich nach ihrem eigenen Gutdünken zu entscheiden. 



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:h ge^en die Ansicht und c 
Ablehnen und theilte d 
/ochen in Berlin aufgehal 



sich täglich mehr mit dem Projekte befreundet, das 
seinem Hause Glanz und Grösse verheisse, und bei dem 
ihn nur noch der Gedanke schreckte, sein Sohn könne 
als König von Spanien infolge der jüngst dort be- 
schlossenen antiklerikalen Gesetze im Geiste der Tole- 
ranz*) mit der Kurie in Konflikt gerathen und vielleicht 
gar dem Banne verfallen. Im Uebrigen betrübte ihn 
Leopolds Weigerung aufs schwerste, und so versuchte 
er den Vortheil der Familie durch dessen Bruder Friedrich 
retten zu lassen, der an Leopolds Stelle als Kandidat 
auftreten sollte. Der aber wollte nur im Fall eines aus- 
drücklichen Befehls des Königs Wilhelm darauf eingehen, 
tmd da der ausblieb, wandte er sich nach einigen Wochen 
Wartens von der ganzen Angelegenheit ab. Die Kandi- 
datur der Hohcnzollern wäre in Unentschlossenheit und 
zaghaften Bedenken erloschen , wenn sich nicht in- 
zwischen Bismarck ihrer angenommen hätte. 

König Wilhelm war, als er dem Erbprinzen freie 
Hand liess, von der Ansicht ausgegangen, dass es sich 
hier um eine reine Familiensache handle, die dem Namen 
Hohenzollern Erhöhung seines Ansehens in Aussicht stellte, 
aber auch Gefahr in sich schliesse und für den preussi- 
schen Staat und Deutschland keinen Vortheil biete — 
eine Meinung, die der Kronprinz theilte. Bismarck aber 
sah weiter und tiefer. Er erblickte Anfangs vermuthlich 



s ) Unter Isahelb waren Prmestanten nuill aill" AU: (Meeren gewinnt 



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in dt':- Besetzung des spanisch™ Thrones mit einem 
deutschen Prinzen , dessen Haus dem preussischen ver- 
wandt und zugethan war, die Möglichkeit eines befreun- 
deten Staates, im Rücken Frankreichs, der, wenn der 
Anschluss Süddcutschlands an den geeinigten Norden 
zur Reife gediehen wäre, indirekt, d. h. insofern nützlich 
sein könnte , als er die Franzosen bei ihrem dann be- 
stimmt zu erwartenden bewaffneten Einsprüche gegen 
das Einigungswerk nfithigiin würde , einen Theil ihrer 
Streitkräfte gegen den unsichern Nachbar im Südwesten 
ku rückzulassen. An einen eigentlichen Bundesgenossen 
wurde natürlich niemals gedacht. Dagegen ging neben 
jener Berechnung seit Benedettia Anfrage ganz unzweifel- 
haft der andere Gedanke her, dass Napoleon aus der 
Kandidatur, wenn sie plötzlich bekannt würde, einen 
Kriegsfall machen konnte, und dieser Gedanke war im 
Frühjahr [M/O heim Bundeskanzler sogar der nächst:: 
und oberste. So erklärt sich sein zähes Festhalten an 
der Kandidatur, die ihm mit Prinz Leopolds Ablehnung 
keineswegs aus der Welt geschafft war. Er sandte in 
der Fastenzeit vor Ostern Lothar Bucher mit dem Auf- 
trage nach Madrid , sich nach den dortigen Zuständen 
zu erkundigen , und gab ihm einen ermuthigenden Brief 
an Prim mit. Zu gleicher Zeit wurde in der Person des 
Majors v. Versen ein preussischer Militär beauftragt, sich 
dort über die spanische Armee zu informiren , und man 
veranstaltete Revuen zu dem Zwecke. Daheim wurde 
Bismarck nicht müde, in den Fürsten Karl Anton zu 
dringen, dass er seinen Sohn umstimme und ihn zur 
Annahme des Thrones bewege, die er ihm als patrio- 
tische Pflicht darstellte. Der Brief an Prim bewirkte, 
was er sollte : nachdem der Erbprinz dem General seine 
Weigerung schriftlich mitgetheilt hatte, antwortete ihm 



dieser, er gebe seine lloti'min:; noch nicht auf und nehme 
die Ablehnung nicht an, und als Bucher und v. Versen 
nach inehrwöchentlichem Aufenthalt in Spanien zurück- 
kehrten und LMin.^LLUUL Ili-iiclit über de:: dortigen Slaüd 

Schilderungen mit der guten Aufnahme der Agenten 
durch die Regentschaft erklären , aber bei dem Prinzen 
Leopold bewirkten sie die von Bismarck erstrebte Um- 
kehr von seiner bisherigen Abneigung, und in der letzten 
Woche des April war er bereit, die Kandidatur an- 
zunehmen. Er sprach sich in diesem Sinne gegen den 
Kronprinzen aus, der seinen Vater und den Bundeskanzler 
vcii der Smnesürsderuni; in Kenntnis setzte. Der König 
war, wie früher mit der Ablehnung, so jetzt mit dem 
Gegentheile einverstanden ; er sah in diesem noch nichts 
von einer „patriotischen Pflicht", Bismarck aber schrieb 
dem Fürsten Karl Anton, er möge seinen Sohn in dessen 
jetzigem Entschlüsse bestärken, und benachrichtigte zu- 
gleich Prim von dem Umschwünge , der sich vollzogen 
hatte , durch ein zweite Sendung Buchers nach Madrid. 
Demzufolge, wurde Salazar beauftragt, sich von Prinz 
Leopold persönlich die Zusage zu holen. Der spanische 
Agent bewog den preussiscrien, ihn bei der Aufsuchung 
des Prinzen, der sich jetzt in Reichenhall befinden sollte, 
zu begleiten. Sie trafen ihn dort nicht an, wohl aber 
seine Gemahlin, von der sie erfuhren, dass er bei seinem 
Vater in Sigmaringen sei. Hier erlangten sie am 16. Juni 
ohne weitere Schwierigkeiten das langersehnte Jawort. 
Alsdann begaben sie sich nach Ems, wo Bucher sich 
bei dem inzwischen zur Kur eingetroffenen Könige eine 
Audienz erbat, um ihm über den Erfolg ihrer Reise Vor- 
trag zu halten. Darauf reiste er zu seinem Chef nach 
Varzin. um ihm ebenfalls Bericht zu erstatten. Salazar 



streng geheimzuhalten, und zwar auf Verlangen Bismarcks, 
dem daran liegen musstc, dass man in Paris nicht eher 
etwas von dem jetzigen Stande der Kandidatur erfuhr, 
als bis Prinz Leopolds Wahl zum Könige durch die Cortes 
vollzogen und damit ein fait accompli geschaffen war, 
nach welchem ein französischer Einspruch den Spaniern 
als grobe Missachtung ihres Selbstbestimmungsrechtes 
erschienen wäre und auch bei andern Mächten als arge 

hängigen Nachbarvolkes Miss fallen und Miss trauen erregt 
hätte. Deutschland, so haue man in Berkn sagen können, 
soll sich nicht die Gestalt geben dürfen, die ihm passt, 
Spanien nicht den König, den die Volksvertretung will, 
Beides blos, weil es den Franzosen nicht beliebt. Die 
Ucbcrraschung aber, die hiermit den Pariser Machthabern 
zugedacht \i-:ir,mi.ssyiii(:kie . int- Agc. eines Miss 1 , erstiindnisse.s 
der chiffrirten Depesche, mit welcher Salazar seine baldige 
Rückkunft angezeigt hatte, fand er die Cortes bei seinem 
Eintreffen auf drei Monate vertagt, l'rim musste sie zur 
Königswahl erst wieder einberufen , er bestimmte den 
17. Juli zur Sitzung, und da es ihm nicht mehr möglich 
oder nicht mehr nöthig erschien zu schweigen, so theilte er 
die Kandidatur des Hohcnzollerschen Prinzen, und dass 
er eingewilligt habe, dem französischen linl-chaker Vlercior 
mit, und dieser berichtete darüber seiner Regierung. Die 
Frage, die sich bisher, bald gegen, bald nach Bismarcks 
Wunsch, sehr langsam entwickelt haue, kam mm in raschen 
Fltiss, wozu Gramonts Preussenhass, sein geringes Geschick 
und seine undiplomatische Hitze, weiche die immerhin 
noch mögliche Verständigung vereitelte, sowie die bigotte 



S7 — 



j >enkart i.U:r Kaiserin Eiiyeiiie rnehi beitrügen der kriink- 
liclic und selten ungestüm vorgehende Kaiser. 

Gramont gehörte zu dem Glücke, das Bismarcks 
All fiir die Einigung Deutschlands begleitete : dass 
er dessen Natur erkannt und in seine Rechnung ein- 
gestellt hatte, war das Verdienst seines Genies. Er sollte 
jetzt haben, was er gewollt, als er die Kandidatur des 
Hohenzollerschen Erbprinzen mit allem Eifer und Nach- 
druck gefördert hatte. Sein Plan war gelungen — wenn 
nicht noch in letzter Stunde ein neues Hinderniss die 
Falle mit dem Köder vom Zuschlagen abhielt, d. h. wenn 
nicht die unentschlossene Art seines alten Herrn und 
Gebieters versagte und den günstigsten Moment ver- 
säumte. 

In Paris wirkte die Nachricht von der Annahme des 
Primschen Antrags durch Prinz Leopold und der Billigung 
derselben durch den König ungefähr wie rothes Tuch, 
das einem schon aus anderm Grunde sehr übellaunigen 
Stiere vorgehalten wird. Man sah — wie der deutsche 
Kanzler bei der Natur der Franzosen überhaupt und bei 
ihrem verblendeten Grolle seit Königgrätz hatte ver- 
muthen können , nicht auf die nahe Verwandtschaft 
Napoleons und die sehr ferne König Wilhelms mit dem 
Thronkandidaten, sondern dachte sicli einen Hohenzollcrn 
mit der Krone Spaniens als eine Wiederkehr Karin des 
Fünften, oder that wenigstens so. Man hatte jetzt den 
ersehnten Vorwand vermeintlich in bester Form; denn 
ganz Europa musste sich mit Frankreich über Preussens 
Begier nach Machtzuwachs ängstigen. Und es galt, rasch 
Halt zu gebieten und etwa im Finstern geplanten weitern 
Bedrohungen des europäischen Gleichgewichts im voraus 
ein Ende zu machen, zumal da die Gelegenheit günstig 
schien, indem König Wilhelm noch in Ems verweilte und 



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g. Juli verlangte man, dass er Europa beruhige, indem 
er dem Prinzen Leopold gebiete, von seiner Kandidatur 
zurückzutreten, ein Verlangen, dem eine kaum verhüllte 
Kriegsdrohung im Gesetzgebenden Körper und eine ganz 
ausdrückliche dem preussi sehen Gesandten gegenüber 
vorausgegangen waren. Der König erwiderte dem Bot- 
schafter Bencdetti, der mit seiner Bedrängung beauftragt 



sich an die Madrider Regierung wenden und 
stimmen, von dem Projekte abzustehen. Am 1 1 
holte Bencdetti die Forderung seines Kaisers, 
traf in Ems die telegraphische Nachricht ein, ( 
habe sinne fri'ihi'ri- Kinwillt^ung zurück Li'.rii' um 
damit schien der Streitfall erledigt zu sein. J, 



ir die fernere Zumuthang hinzufügte, der 
den Verzicht des Erbprinzen ausdrücklich 
ind sich überdiess verpflichten, einer Wieder- 
er Bewerbung Leopolds um den spanischen 
ds seine Zustimmung zu ertheilen. 
A'ilhelm hatte bisher in der Angelegenheit 
it mehr, als seinem obersten Rache lieb war, 
1, ,,um Deutschland die Uebel eines Krieges 
". Dieser letzten Dreistigkeit aber konnte 



— 89 — 

er sich schlechterdings nicht fügen , und nunmehr mag 
Bismarck selbst das Weitere berichten. Am 19. Oktober 
1877 erzählte er uns in Varzin im Anschlüsse an die Er- 
wähnung des Gespräches während der Eisenbahnfahrt 
von Jüterbog nach Berlin zunächst von den ersten Be- 
sprechungen des Königs mit Benedetti, dann über den 
weitem Verlauf der Angelegenheit Folgendes: 

„Da merkte man bald" (ich gebe seine Worte ganz 
und ohne Zuthat wieder , wie sie fielen) „dass er zu 
kneifen anfing und ein Olmütz eingesteckt hätte. Ich 
war damals in Varzin, und als ich auf dem Wege nach 
Berlin durch Wussow fuhr, stand der Pastor in seiner 
Thür und grüsste. Ich that einen Schwadronhieb in die 
Luft, zum Zeichen, dass es jetzt losginge. Aber in Berlin 

(dem Könige Wilhelm), wenn er Benedetti noch einmal 
empfinge, so bäte ich um meine Entlassung. Als keine 
Antwort kam, telegraphirte ich, wenn er jetzt Benedetti 
empfangen hätte, so betrachtete ich das, als ob er meine 
Entlassung angenommen hätte. Da kam das zweihun- 
dert Zeilen" (er meinte wohl Worte) „lange Telegramm 
von Abeken. Darauf liess ich mir Moltke und Roon 
kommen, zu einem Essen zu Dreien, und theilte ihnen 
mit, wie die Sachen stünden. Roon war ausser sich. So 
auch Moltke. (Er sah plötzlich ganz alt und gebrech- 
lich aus", hatte der Kanzler bemerkt, als er in Versailles 
von dem Vorgange gesprochen.) „Ich fragte Moltke, 
ob wir zu einem solchen Kriege in guter Ordnung wären. 
Er erwiderte , nach menschlichem Ermessen hätten wir 
Hoffnung, zu siegen. Da machte ich, ohne ein Wort 
des Königs zu ändern, aus den zweihundert Zeilen zwan- 
zig und las es ihnen vor. Sie sagten, so würde es sich 
machen, und nun liess ich es an alle unsere Gesandt- 



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wirklich : die Franzosen nahmen es ungeheuer übel." 

Bei der Bedeutung dieses Vorfalls für den Zweck 
unseres Kapitels sei es erlaubt, noch zwei andere Be- 
richte über denselben anzuführen, die ihn ergänzen und 
das Verdienst Bismarcks deutlicher beleuchten. 

In meinem Tagebuch finde ich ein Versailler Tisch- 
gespräch vom ]g. Dezember 1870, wo es hebst: „Der 
Geheimrath *) kam dann auf die Vorgänge, die in Ems 
kurz vor Ausbruch des Krieges stattgefunden hatten, und 
erzählte, der König habe nach , einer gewissen Depesche' 
geäussert: ,Na, nun wird auch er (Bismarck) mit uns 



Kanzler lächelnd, ,da dürften Sic sich denn docl 
Das heisst, ja, mit Ihnen sehr. Mit Serenisi 
gar nicht sehr oder durchaus nicht. Er hä 
der Sache viel vornehmer betragen müssen — 
Uebrigens, ich besinne mich 1 , fuhr er fort, , 
Varzin die Nachricht bekam. Ich war gerade ai 
und wie ich zurückkam, fand ich das erste 1 
Wie ich dann abreiste, fuhr ich bei unseren 1 



machte es blos so — (Bewegung eines Kreuzhiebes) 
Einhauen! Er verstand mich, und ich fuhr weiter.' Er 
erzählte dann von den Schwankungen der Sache bis zu 
einer gewissen Wendung, auf welche die Kriegserklärung 
gefolgt sei. ,In Berlin hoffte ich wieder ein Telegramm 
vorzufinden, Antwort auf meins, aber es war noch nichts 

*) Abeken. 



da. Inzwischen lud ich mir Moltke und Roon für den 
Abend zum Essen ein und zu einer Besprechung über 
den Stand der Dinge, der mir immer mehr Bedenken 
erweckt hatte. Da wurde das . lange neue Telegramm 
gebracht. Als ich's vorlas — es waren wohl zweihundert 
Worte — erschraken die Beiden förmlich, und Moltke 
kriegte plötzlich ein ganz anderes Wesen, ganz alt, matt 
und gebrechlich. Es sah aus , als wenn Serenissimus 
immer noch kneifen könnte. Ich fragte ihn, ob Alles so 
stünde, dass wir auf den Sieg hoffen konnten. Als er's 
bejahte, sagte ich; , Warten Sie mal 1 , setzte mich an ein 
Tischchen, strich es zusammen, die zweihundert Worte 
zu ungefähr zwanzig, aber ohne sonst was zu ändern 
odur l)iimizuse;z(_*li. Es war Aljckcns Tdoyrmnm, und 
doch was Anderes, kürzer, bestimmter, zweifelloser. Ich 
reichte es ihnen hin nnd fragte: ,Nun, wie ist's jetzt?' — 
Ja, so wird's gehen', sagten sie, und Moltke war auf 
einmal wieder jung und frisch wie vorher. Er hatte 
nun seinen Krieg, sein Gewerbe. Und es ging wirklich. 
Die Franzosen nahmen das abgekürzte Telegramm, als 
es in den Zeitungen erschien, ganz erschrecklich übel, 
und nach einigen Tagen erklärten sie uns den Krieg.'" 
Die andere Ergänzung entnehme ich einem Artikel 
der Neuen Freien Presse vom ai. November 1892, dessen 
Inhalt im Wesentlichen vermuthlich die Wahrheit bringt, 
während die Form, namentlich wo Bismarck von sich 
selbst erzählt, vom Verfasser mit Zuthaten seines eigenen 
zeitungsgerechten Stils und Geschmacks versehen worden 
ist. So sprach der Kanzler im Privatleben nicht ; so ge- 
schmückt und pathetisch konnte er nicht sprechen. 
Es ist also Retouche, die den Werth des Ganzen eher 
vermindert als vermehrt, und die wir uns lieber hinweg- 
denken wollen. Der Gewährsmann des Blattes ist ein 



Berliner Parlamentarier, der den Bericht, den er mittheilt, 

König war in Ems, ich war in Varzin, als in Paris der 
Spektakel wegen der Kandidatur drs Erbprinzen Leopold 
von Hohenzollern auf den spanischen Thron losbrach. 
Die Franzosen benahmen sich so kopflos wie möglich. 
Allen voran diu Regierung in:' OlüviiT an dii Spitzt-, 
welcher der Situation in keiner Weise gewachsen war 
und nicht ahnte, was er mit seinen unvorsichtigen Prah- 
lereien im Gesetzgebenden Köi'pi'i anrichtete. Die Situa- 
tion lag für uns damals .-.i—ei -i günstig. Wir waren 
thatsächlich die Provozirten, und da die Notwendigkeit 
einer Auseinandersetzung mit Frankreich uns Allen längst 
klar war, erschien der jeuige Augenblick mm Losschlagen 
sehr geeignet. Ich verliess also Varzin, um mich in 
Berlin mit Moltke und Roon über alle wichtigen Fragen 
auszusprechen. Unterwegs erhielt ich die telegraphische 
Mittheilung , Fürst Anton von Hohemollern hat um des 
lieben Friedens willen die Kandidatur seines Sohnes 
Leopold zurückgezogen. Tüs ist Alles in schönster Ord- 
nung. Ich war von dieser unerwarteten Lösung ganz 

so günstige Gelegenheit darbieten? Als ich in Berlin 
eintraf, rief ich Roland*) und sagte ihm: Telegraphiren 
Sie nach Hause, dass ich in drei Tagen zurückkomme. 
Zugleich reichte ich in einer Depesche nach Ems bei 
Sr. Majestät meine Emiassimg als Ministerpräsident und 
Bundeskanzler ein. Ich erhielt darauf eine Depesche 
vom Könige, ich sollte nach Ems kommen, ich hatte 
mir die Situation längst klar gemacht und sagte mir: 



") EreL« espeilirenüer SekivCir im Omrnlburenu ,[[■- AuMianijreti 



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wenn ich nach Ems gehe, wird Alles verzettelt, wir 
komme!] im günstig:;lcn Falk: zu einem faulen Korn- 
promiss ; die allein mögliche, die allein ehrenhafte und 
grosse Lösung ist dann ausgeschlossen. Ich muss thun, 
was ich thun kann , um Se. Majestät nach Berlin zu 
bringen , wo er den Pulsschlag des Volkes deutlicher 
fühlen wird, als es in Ems möglich ist. In ehrerbietigster 
Weise motivirte ich mein Nichtkommen : ich sei in Berlin 
unabkömmlich. Zum Glück thaten inzwischen die Qber- 
miUhi;; !;ew<>i denen und kei?.;iditi>_(en Franzosen Alles, 
um den Karren wieder zu verfahren. Sie liessen an den 
König das Ansinnen stellen, einen Brief zu unterzeichnen, 
der einer tiefen Demülhiimne; gleichkam. Der Küm» 
f'raytt: midi telejM-aphisch um meinen Kath, um! ieli ati:.- 

wortete mit bestem Gewissen ; Die Unterzeichnung ist 
unmöglich. Ich hatte am Abend des 14. Juli*) Moltke 
und Roon zu Tische geladen , und wir besprachen alle 
Eventualitäten. Wir alle [hellten die Hoffnung, dass das 
thörichte Vorgehen Frankreichs , das an imsern König 
gestellte Ansinnen die Gefahr eines schwächlichen und 
unrühmlichen Ausganges noch beseitigen werde. Da 
traf, während wir noch bei Tische sassen, eine Depesche 
aus Ems ein. Die Depesche begann mit den Wullen 
(„ungefähr", wird der Erzähler gesagt haben; denn aus- 
wendig gelernt hatte er sie vermuthlich nicht) : .Nach- 
dem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen 
von Hohenzollcrn der kaiserlich französischen Regierung 

jestät die Forderung gestellt, ihn zu autorisiren, dass er 
nach Paris telegraphirc , da~s Se. Maiesrat sich i'iir alle 



*) Ks war der [3., also Tnjjs vorher. 



Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu 
geben, wenn die Hohcnzollem auf ihre Kandidatur zurück- 
kommen sollten. 1 Dann folgte eine längere Auseinander- 
setzung. Der Sinn war etwa, dass der Kiiiiij; sich ;uif 
das berufen habe, was er bereits dem Grafen Henedetti 
mitgetheilt habe. Graf Benedetti habe diese Rück- 
äusserung dankbar entgegen genommen , und er würde 
sie seiner Regierung übermitteln. Indessen erbat Bene- 
detti noch eine Zusammenkunft mit Sr. Majestät , sei es 
auch nur, um sich noch einmal mündlich bestätigen zu 
lassen, was von Sr. Majestät an der Brunnenpromenade 
geäussert worden war. Dann hicss es weiter: ,Se. Ma- 
jestät lehnte jedoch ab , den französischen Botschafter 
noch einmal zu empfangen, und liess demselben durch 

dem Botschafter nichts weiter mLuttirilen.' Als ich die 
Depesche verlesen hatte, liessen Roon und Moltke gleich- 
zeitig Messer und Gabel auf den Teller fallen und rückten 
vom Tische ah. Es entstand eine lange Pause. Wir 
Alle waren tief niedergeschlagen. Wir hatten die Em- 
pfindung: die Sache verläuft im Sande. Da stellte ich 
an Moltke die Frage: >Ist das Instrument, das wir im 
Kriege brauchen, ist unser Heer wirklich so tüchtig, dass 
wir mit grösster Wahrscheinlichkeit auf einen guten Er- 
folg den Krieg aufnehmen können?' Moltke war felsen- 
fest in seinem Vertrauen. ,Wir hahen nie ein besseres 
WYrkzeilE; l;i:I);i!>;- als :u dk'svin Aul;i ida- 1 , .-a^tc er. 
Roon, zu dem ich freilich weniger Vertrauen hatte, be- 
stätigte Moltkes Worte vollkommen. ,Nun, dann essen 
Sie ruhig weiter', sagte ich zu den Beiden. Ich setzte 
mich an einen kleinen runden Marmortisch, der neben 
dem Speisetische stand, las die Depesche aufmerksam 
durch, nahm meinen Bleistift und strich die ganzen 



Zwischensätze über Benedettis Bitte um eine nochmalige 
Audienz und so weiter fort. Ich liess ebi'n nur Kopf 
und Schwanz stehen. Nun sah dir Depesche allerdings 
etwas anders aus. Ich las sie in dieser neuen Fassung 
Moltke und Roon vor. Beide riefen: .Herrlich, das 
muss wirken!' Wir assen mit bestem Appetit. Ich gab 
sogleich die Weisung , die Depesche durch das Tcle- 
graphenburcau an alle Zeitungen und alle Missionen auf 
dein schnellsten Wege zu versenden. Und wir waren 
noch zusammen, als wir schon von der Wirkung, welche 
die Depesche in Paris gemacht hatte, die erwünschte 
Nachricht erhielten. Sie hatte wie eine Bombe ein- 
geschlagen. 1 " 

Ein Kommentar zu dieser Entwickelung von dem 
Briefe an, den Bucher in den Ostcrfasten in Madrid ab- 
gab, bis zu dem durch Bismarck verkürzten Emser Tele- 
gramm Abckens erscheint nicht erforderlich. Der Ein- 
druck, den der Hergang macht, wird auch nicht oder 
kaum erheblich verändert, wenn wir die Abekensche 
Depesche mit dem Bismarckschen Auszuge daraus zu- 
sammenhalten, selbst wenn die am 23. November 1892 
vom Grafen Caprivi dem Reichstage vorgelesene Ab- 



schrift nicht blos, wi 


e er sagte, 


„acht", 


sondern auch 


vollständig gewesen - 


sein sollte. 


Nach i 


hm hätte das 


Telegramm Abekens 1 


blgendermas 






„Se Majestät dei 


■ König sein 




r : Graf Bene- 


detti habe auf der Pr 


omenade aul 


' zuletzt 


sehr zudring- 


liehe Weise verlangt, 


er solle ihn 






telcgraphiren , dass er 


in Zukunft 




seine Zustim- 



mung geben werde, wenn die Hohenzollern auf ihre 
Kandidatur zurückkommen. Sc. Majestät habe zuletzt 
etwas ernst erwidert, dass er diese Zusage nicht geben 
könne und dürfe. Er habe übrigens noch nichts über 



Ew. Excellenz das Ersuchen, 
dettis und ihre Zurückweist! n 
(li-sandtHchafti'ii :ils der Press 
Sybd giebt den Wortlau 
dtrs an. Abelen idi.'^niphir 



nichts weiter zu sagen habe. Se. Majestät stellt Ew. Ex- 
cellenz anheim, ob nicht die neue Forderung Benedetlis 
um i nnsfiv 7,u: i'ii'kwiis 1 . ><i;iii-ioh sowohl uus^rn Gcsaisill- 
schaften als- in der Presse mitgetheilt werden soll!" 

Der König hatte sich also nach einem so unver- 
schämten Ansinnen überhaupt noch auf ein Gusjjräch 
mit Benedetti eingelassen,*) seine Regierung zu ent- 
schuldigen versucht und sich wahrscheinlich Raths er- 
holt, ob er den Franzosen weiter empfangen sollte! Er 
befahl nicht die Veröffentlichung der Depesche, sondern 
stellte sie nur anheim. 

Aus Sybels oder Caprivis Text entstand unter dem 
streichenden Bleistifte den Kanzlers das Nachstehende: 
Telegramm aus Ems. 13. Juli 1870. Nachdem die Nach- 
richten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohen- 
zollern der kaiserlich französischen Regierung von der 
königlich spanischen mil^iaheill worden sind, hat der 
französische Botschafter in Ems an Se. Majestät den 
König noch die Forderung gestellt , ihn zu autorisiren, 
dass er nach Paris telegraphire , dass Se. Majestät sich 
für alle Zukunft verpflichte , niemals wieder seine Zu- 
stimmung zu geben , wenn die Hohcnzollern auf ihre 
Kandidatur zurückkommen sollten. Se. Majestät hat es 
darauf abgelehnt, den franzosischen Botschafter noch- 
mals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten 
vom Dienst sagen lassen, dass Se. Majestät dem Bot- 
schafter nichts weiter mitzutheilen habe," Bismarck ist 
und bleibt also der Seelenarat Kaiser Wilhelms, der 
Mann, der ihn ergänzte, ermuthigte und stützte, auch in 
diesem Falle. Ohne ihn wäre der Krieg, dem das 

*] Er hatte diu Unterredung auf der Pronitnadu nach Benedetlis 
spatere liericlil selbst' erSAhet 



— 98 — 

deutsche Reich entspross, nicht zu rechter Zeit aus- 
gebrochen, und wir hätten noch die Mainlinie und wahr- 
scheinlich m-b-.-n dem N T ordbim<!o uinen in-ui-n Rhi-in- 
bund. Jener Scelenarzt ist Bismarck hierbei mit beson- 
derer Intelligenz und Kni'rgii; i;c\v<'m-ti ; aber or ist es 
bei jeder ( jea'u'ciilH'it gewesen, wo es einen jjrosseit 
Entschluss 7U fassen, eine schwere Wahl zu treffen, einen 
kühnen Griff zu wagen galt. Es gehört zu den liebens- 
werthesten und vornehmsten Zügen des verewigten Kai- 
sers, dass er dieses Verhältnis» neidlos erkannt und mehr 
als einmal in schriftlichen Aeusserungen gegen seinen 
Kanzler unbefangen und unzweideutig anerkannt hat. 
In dem Briefe, mit dem er ihm am 26. Juli j8/2 zu 
siriiier silbernen I loeb/eit »1 .u : ilii Ii:, -chrieli er ihm, ,,er 
lasse Dankgchete zum Himmel steigen, dass Gott ihm 
in entscheidender Stunde ihn an die Seite gestellt und 
damit seiner Regierung eine Laufbahn eröffnet habe, die 
weit über Denken und Verstehen gehe". Die Porzellan- 
vase, welche das Schreiben als Geschenk begleitete, sei 
„zwar von zerbrechlichem Material, solle aber in jeder 
Scherbe dereinst aussprechen , was Prcussen ihm (dem 
Empfanger) durch die Erhebung auf die Höhe, auf 
welcher es jetzt stehe, verdanke". — Als Kaiser Wilhelm 
zur Enthüllung des Denkmals auf dem Niederwald ab- 
u-iseri wollte, fordert!: er t!i-n Kanzler brieflich auf, lii'V 
Feier ebenfalls beizuwohnen, da er „fühle, dass das ein- 
zuweihende Denkmal nicht sowohl ihm als dem Kanzler 
jjelte". Das Original dieses kaiscräcaoii Han J = chrdljtrns 
befand sich viele Jahre unter den Papieren des Fürsten, 
ist aber seit einiger Zeit verschwunden.*) Dagegen ist 

*] Bewcr, Bismarck im li.cidn.lage S. 7. Der Verfasser dieser 
t'luRschrilt konnte .tic Koti* vom l-'Unlcii selbst haben. 



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folgendes Originalschreiben des Kaisers, das Aehnliches 
ausspricht, in Friedrichsruh noch vorhanden; 



. Ihren so lieben Brief, in welchem Sie mir leider, 
wenn auch nicht unerwartet, Ihr Ausbleiben von der 
Festlichkeit der Enthüllung des Denkmals auf dem 
Nieder-Wald anzeigten, konnte mich wirklich nur 
schmerzlich berühren, noch mehr aber ist dies der 
Fall nach dem Gelingen dieser Feier. Dieselbe ist 
eine der gelungensten , die ich je erlebt , durch An- 
ordnung > Durchführung , Grandiosität des Denkmols 
an sich, der unerwarteten Aufklärung des Wetters 
und vor Allem durch die Gefühle, die namentlich die- 
jenigen durchdrangen , die thatigen Amheil an den 
Kämpfen und Erfolgen nahmen, denen das Gebilde 
geweihet ist ! Zu diesen gehören nun hauptsächlich 
Sie als Herbeiführer dieser mächtigen Ereignisse und 
Leiter derselben zum grandiosen Frieden. Ihnen hier- 
für öffentlich von Neuem meinen Dank und meine 
Anerkennung auszusprechen, wäre meinem Herzen ein 
dankbares Bedürfniss gewesen. Es sollte nicht sein, 
aber gedacht ist Ihrer vielfach worden," 



Wie Bismarck solche Briefe unbegrenzter Hoch- 
Schätzung und Dankbarkeit erwiderte und wie er über- 
haupt seine Stellung zu dem Monarchen auffasste, wenn 
er mit ihm selbst verkehrte , zeigt eine Reihe mir vor- 
liegender Schreiben, mit denen er derartige Briefe seines 
„Kaiserlichen Herrn" beantwortete, und von denen ein 
besonders charakteristisches diesen Abschnitt beschliessen 
möge. Es lautet, wie folgt : 



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Friedrichsruh, 25. Dezember 18S3. 



Eurer Majestät danke ich in Ehrfurcht und von 
Herzen für das huldvolle Weihnachtsgeschenk und 
insbesondere für die gnädigen Worte, welche dasselbe 
begleiteten. Sie geben mir die volle BetVii.'di^uiiL;, 
welche ich auf dem Niederwald empfunden haben 
würde, wenn ich dem Feste hätte beiwohnen können. 
Eurer Majestäl Zufriedenheit mit mir hat t'iir mich 
höheren Werth als der Beifall aller Andern. Ich 
danke Gott, dass er mein Herz so gestimmt hat, denn 
Eurer Majcstäl Zufiiedc nln il habe ich ei werben können, 
den Beifall der Andern aber selten und vorübergehend. 
Ich danke aber auch Eurer Majestät für die Unwandel- 
batkelt, mit welcher Ali< Thnch^tdie^lbeii mir in dem 
Zeitraum von mehr als 20 Jahren, unbeirrt durch die 
Angriffe meiner Gegner und durch meine eigenen mir 
wohlbekannten Fehler, in den schwierigsten und in 
den ruhigsten Zeiten stets Ihr Vertrauen bewahrt 
haben und mir ein huldreicher Herr geblieben sind. 
Wetter bedarf ich auf dieser Welt, neben Frieden mit 
dem eigenen Gewissen vor Gott, nichts mehr. Gottes 
Segen ist mit Eurer Majestät Regiment gewesen und 
hat Eurer Majestät vor andern Monarchen, welche 
Grosses ausgeführt haben, den Vorzug verliehen, dass 
Allerhöchstdero Diener mit Dankbarkeit gegen Euere 
Majestät auf ihre Dienstleistungen zurückblicken. Die 
Treue des Herrschers erzeugt und erhält die Treue 
seiner Diener. *| 



*) Auf diixwll rüti macht*.' LiiiL.li ik-r Fürst am 20. Marz 1890 im 
ilinlilkl um <lif .liLiii.ili^ri ['iLi-liLri'U' I1.-1111.lcr- amini-rk-ain. 



Der Rest des Briefes , noch fünf oder sechs Zeilen, 
enthält nur für unsern Zweck Gleichgültiges, Familien- 
sachen, Stand der Gesundheit des Kanzlers und der- 
gleichen mehr.*) 



LI II H 

kehr mit Bismarck und seinen Leuten, Ein Tagebuch der Jahre 
1870 bis 1893" bringen. 



vn. 



Ein Rückblick auf die betrachtete Wirksamkeit und 
vorzüglich auf den vorigen Abschnitt erinnert lebhaft an 
einen Ausspruch Jesus Sirachs im 10. Kapitel seines Buches, 
wo es u. A. heisst; „Es stehet in Gottes Händen, ob es 
einem Regenten gerathe; derselbe giebt ihm einen löb- 
lichen Kanzler. — Einem weisen Knechte muss der Herr 
dienen, und ein vernünftiger Herr murrt nicht darum." 
Kaiser Wilhelm, in dem sich diese Worte des alten jüdi- 
schen Weisen verwirklichen, starb, und sein Nachfolger 
hätte auch bei einem längern Leben, als ihm beschieden 
war, verinulhÜL-h trotz dur ML'iniui^svi/rschiL'deiiheit, die 
ihn als Ki'ini]ii'in?.L'ii ^■raimc /,eit vom Kanzler trennte, 
den Rath seines grossherzoglicher Freundes aus Karls- 
ruhe befolgt, der ihm kurz nach seinem Regierungsantritte 
die Uebcrzcugung aussprach: „Ohne Bismarck kannst Du 
nicht regieren." — Das wurde anders unter dem Regimen te 
mit den Machtsprüchen: „Voluntas regis suprema lex 
esto" und „sie volo, sie jubco, stat pro ratione voluntas". 
Das krafiis;- aus^i/Liialete > u i tu^ 1^ u f'i'il) 1 , das sich hierin 
äusserte, bedurfte keines Seelenarztes und ertrug auf die 
Dauer keinen Mentor und Censor, der vielmehr bald als 



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unbequem, als Last, als Hemmniss für genialen Flügel- 
schlag empfunden wurde. Es duldete neben sich nur die 
Subordination des Militärs, welche Befehle unbesehen 
und anstandslos vollzieht uud vertritt. Der Kanzler war 
zu dieser Rolle nicht zu haben. Er vermochte sie auch 
nicht zu heucheln. Er durfte — mit gütigem Wohlnehmen 
der Hofdienerschaft sei es gesagt — doch am Ende 
auch einiges Selbstgefühl haben, und er glaubte sich vor 
der Geschichte verantwortlich. Aus der Meinungsver- 
schiedenheit in der einen und der andern Frage wurde 
allmählich eine Entfremdung, die sich rasch zur Ver- 



Ich bestrebe mich einer ruhigen Objektivität, ich 
begebe mich des Unheils. Ich sitze gleichsam in der 
Loge und sehe dem Drama zu, das sich nothwendig zur 
Tragödie gestalten muss. Ich verbeisse den Ausdruck 
von Gefühlen; denn ich bemerke neben sehr Verständ- 
lichem auch Unbegreifliches. Ein selir starkes Selbst- 
gefühl 7- B. lässt sich , sollte man meinen , nicht wohl 



machen, sich den Beifall der Parteien zu erwerben. 
Wenigstens wusste das Selbstgefühl der alten Fürsten 
schlechterdings nichts von diesem Bedürfnisse; sie be- 
ruhten auf sich selbst und brauchten nichts mehr. 
Hier aber scheinen beide Gefühle neben einander vor- 
handen zu sein: das olympische, wie wir's nennen wollen, 
das keine Anerkennung bedarf und sucht, und das, 
welches sie nöthig findet, herbeiwünscht und durch Ent- 
gegenkommen gegen Andere erstrebt. Ein Problem, das 
vielleicht die Mühe seiner Lösung lohnen würde , aber 
auch zu bedenklichen Schlüssen führen könnte — selbst- 



vorständlich nur die Leser, die illoyalen Vermuthungen 
Raum zu geben geneigt wind. 

Philosophiren wir also nicht weiter , rekapituliren 
wir lieber, soweit es unsere Keuntniss der Hergänge 
hinter den Codissen und andererseits gewisse Gesetzes- 
paragraphen erlauben. Der Kaiser Wilhelm H. fasste 
zunächst die Arbeitersache anders auf und an, als sein 
oberster Rath nach seiner Erfahrung und Rechnung em- 
pfehlen durfte. Man wollte die Sozialdemokraten ge- 
winnen und entfremdete sich mit dem von vornherein 
zum Misslingen verurtheilten Versuche weite Kreise der 
hohem Bourgeoisie. Dazu kamen die statt der Wieder- 
anstellung Puttkamers unerwartet erfolgende Wahl Herr- 
furths zum Minister des Innern und ihr Grund, die von 
diesem befürwortete liberale Landgemeindeordnung, die 
nicht nach Bismarcks Sinne war, weil sie gegen Interesse 
und Befugniss der grossem und mittlem Besitzer auf 
dem Lande, der ,, Hauern", (lein ,, kleinen Manne" tu 
viel Hir.rlu f.". ein räumte, die aber dem jungen Monarchen 
bei den Liberalen und de:i untern Klassen der ländlichen 
iV\ lilkeniny Po;>ulari(iit üü verilewsen seinen. Daran 
schloss sich endlich der kaiserliche Be'fchl, der Bismarck 
aufforderte, die Kabinctsordre vom 8. September 185z, 
welche allein dem Ministerpräsidenten ermöglichte, das- 
jenige Mass von Verantwortlichkeit zu ubernehmen, das 
iliii; von der Vulki-verireuitikj und den Zeitungen an- 
gesonnen wurde, aussei Kraft zu setzen und sich so in 
-11:11111 Ar,M l> n -^cd seir.11 amtlicher. Wirksa-nke;i M.ilj. j r 

.'■I 1 l ::. :i i.- ■ .. i : 

L'ebe: den Fall I Je: rfurrh wii<: -.pavrr an andere 
Stelle eingehender 2U sprechen sein. Hier soll nur etwas 
(jt:;ani :i > .liier di :i Gaii); de-. Kurillikv-, 11: di r Ailicitci- 

lache und über den Besuch Windthorsts beim Kanzler 



mitgetheüt werden, der nachträglich unter den Ursachen 
der Entwickclung zur Katastrophe erwähnt werden mnss. 
Die kaiserlichen iir'asse vom 4. Januar 1H90, betreffend 
die Verbesserung der Lage der deutschen Arbeiter (An- 
regung einer Arbeiterschutzgesetzgebung) gingen dem 
Kanzler zu weit. Die Grenze, bis zu welcher der Staat 
den Forderungen der Sozialdemokratie entgegenkommen 
konnte, ohne selbst in revuluri'Hiüres Fahrwasser zu ge- 
rathen , war in der Botschaft vom 17. November 1S81 
gezogen , welche liisir.ai cks soziale Rcl< irni einleitete. 
Mit der Sicherstellung der Arbeiter gegen die Gefahren, 
mit denen Krankheiten, Unfälle, Invalidität und Alter 
sie bedrohten, war das in der Sache Mögliche ver- 
wirklicht. Als Mann der Thatsachen , der die Dinge 
nimmt, wie sie liegen, nicht, wie sie nach einer Theorie 
sein sollten, als praktischer Politiker war Bismarck für 
das Verlangen nach Einschränkung der Arbeitszeit (auf 
Werkeltage oder auf eine gewisse Stundenzahl) und 
Arbeitsgelegenheit (für Frauen und Kinder) nicht zu 
haben; denn der Abkürzung- der Leistung entsprach 
natürlich mit Notwendigkeit eine Verminderung des 
Lohnes. Ehe dieses Axiom nicht widerlegt war, schuf 
die Ideologie, von der jene Anträge ausgegangen waren, 
für die Arbeiter ein Hemmniss freien Entschlusses, für 
die Arbeitgeber Kürzung des Verdienstes bis zur Un- 
fähigkeit, mit dem Auslande zu konkurriren — ein Scha- 
den, der auch den Staat traf und schwächte. Diese in 
langjähriger Beschäftigung mit der sozialen Frage ge- 
wonnenen und bewährten Ueberzeugungen , die der 
Kanzler schon 1885 vor dem Reichstage ausgesprochen 
und geltend gemacht hatte, waren für ihn noch durch- 
aus massgebend, als er gegen Ende Januar 1890 nach 
längerer Abwesenheit in Friedrichsruh nach Berlin zurück- 



— 106 — 

kehrte und hier mit dem Plane zu den kaiserlichen Er- 
lassen „überrascht wurde". Er hatte bis dahin be- 
absichtigt, den Kampf mit der Sozialdemokratie, deren 
Fuhrer, von der Unzufriedenheit der Masse lebend, alle 
auf Besserung des Looses der Arbeiter abzielenden 
staatlichen Massregehi als geringe Abzahlungen auf ihren 
natürlichen Anspruch behandelten, aufzunehmen und sich 
keine u falls ttliei weitere Xee.esl ;i:ii]e.iw in Lintel lv,i:vl 
hingen einzulassen. Im Hinblick hierauf hatte er dem 
Reichstage eine Vorlage zur Erneuerung des mit Ende 
des September erlöschenden Sozialistengesetzes gemacht, 
wobei er beim Kaiser und einigen Ministern anderer 

Bewegung keine Frage des Rechtes, sondern eine Frage 
der Macht, d. h. die Frage, ob es ihr gelingen würde, 
stu einer staatsjjefährlichen Macht zu werden, und musste 
so behandelt und entschieden werden, wenn Staat und 
Gesellschaft mit Erfolg geschützt sein sollten; und des- 
halb war ihm unverständlich, dass man die Frage, ob 
das Sozialistengesetz erlöschen oder wieder aufleben 

gelöst sehen wollte. Der Versuch, den Molarchen Tür 

blieb Bismarck den Verhandlungen des Reichstags über 
das Sozialistengesetz fern, „um nicht Anschauungen Aus 
druck geben zu müssen, die denen einer massgebenden 
Zukunft widersprachen". Der Kronrath vom 24. Januar, 
in welchem die Entwürfe zu den Erlassen vorgelesen 
wurden , zeigte dem Kanzler , dass die Mcinungsvcr- 
seliirdenliei;, die /wischen ihm :md dem Monarchen 

gebildet hatte , nicht mehr ausgleichbar war ; und um 
nicht verantwortlich zu werden für Schritte , die zu 
schwerem Schaden führen konnten , versagte er seine 



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Wunsch des Kaisers nur noch der Ausarbeitung der 
Erlasse, die dabei vielfach abgeschwächt wurden, und 
denen der Kanzler die Befragung des Staatsrates und 
die Berufung einer internationalen Konferenz hinzufügte, 
indem er hoffte, es würden sich in diesen Körper- 
schaften Sachkenner hören lassen, die zu weit gehende 
Absichten der Vorlage für unausführbar erklärten. Mit 
diesem Widerstreite der Ansichten und Ziele hing auch 
zusammen, dass Bismarck um Entlassung als Handels- 
minister bat , und lediglich der Gedanke an die nahen 
Neuwahlen zum Reichstage hielt ihn ab, sich auch von 
seinen übrigen Tostet) ziLriick/.uscielien ; es hülle iui<ii"mstij> 
auf diese Wahlen gewirkt, „weil er sein Vermögen au 
Erfahrung und Vertrauen Niemandem hätte übertragen 
können". Die Wahlen bestätigten die Erwartungen am 
Hofe, die Erlasse würden sie günstig beeinflussen, nicht, 
wohl aber die gegenteilige Voraussage des Kanzlers. 
Die Sozialisten zogen mit der allerdings nur halbwahren 
Parole: Der Kaiser macht sich unser Programm zu eigen, 
und unsre Forderungen sollen unter dein Einflüsse des 
Reiches Gesetz und Recht werden, an die Stimmurne 
und sahen sich dort durch viele gl aubens verwandte, 
aber bisher unschlüssig gewesene Elemente verstärkt. 
Die staatstreuen Parteien fühlten sich verstimmt und 
entmuthigt. Das Ergebniss war ein erhebliches An- 
wachsen der Opposition und der Rückgang der Kon- 
servativen und der Gemässigt -Liberalen im Reichstage. 
Dem gegenüber hätte es als Feigheit gedeutet werden 
können, wenn der Kanzler seinen Entschluss, zurück- 
zutreten, jetzt ausgeführt hätte. Pflichtgefühl und Ehre 
geboten ihm vielmehr, wenigstens bis zum Anfange des 
Sommers, wo die ins Auge gefasste neue Militär vorlade 



— 108 — 

im Reichstage durchgesetzt sein konnte, mit seinem An- 
sehen und seiner Kraft an der Seite des Kaisers aus- 
zuharren. Der Staatsrath wurde, nachdem er das Pro- 
gramm für die internationale Konferenz zur Regelung 
des Arbeit in iridis: i irllrn Anbii^'n ! .;:ui l.lei'gwerken 
festgestellt hatte, am 28. Februar geschlossen, und der 
Kanzler erliess noch 'die Einladung zur Versammlung, 
die alsdann ihre Sitzungen auch unter seinem Dache, 
aber schon nicht mehr unter seiner Leitung, sondern 
unter dem Vorsitze dos neuen Handelsministers, v. Ber- 
lepsch am 15. März eröffnete. 

An demselben Tage fand eine UHterreduni; zwischen 
Bismarck und Windthorst statt, die von letzterem er- 
beten, vom Bankier Bleichröder vermittelt und vom 
Reichskanzler , wie bisher jedem Abgeordneten , bereit- 

derseiben zu erfahren, welche Stellung die Fraktion des 
Centrum führers im neuen Reichstage einnehmen werde, 
und erfuhr, dass man Rückkehr zu dem kirchlichen Zu- 
stande vor 187 t zu erlangen gedenke. Von einem Ver- 
suche zu einem Zusammenwirken der klerikalen Partei 
mit dem Kanzler war nicht die Rede. Dagegen wurde 
im weitern Verlaufe des Gesprächs; die il'"'^lichkei: 
eines Kabinetswechsels berührt, und der ultramontane 
Politiker bat dringend den Fürsten, im Amte zu ver- 
bleiben, und empfahl Tür den Fall, dass er dennoch 
gehen müsste , in Anbetracht der schwierigen Lage die 
Wahl eines Militärs zum Nachfolger, wobei er den 
General v. Caprivi als besonders geeignet bezeichnete. 

Der Besuch des Führers der Klerikalen und der 
Umstand , dass Blcichrödcr ihn vermittelt hatte , ver- 
anlassten den Kaiser, dem Fürsten sein Befremden 
darüber auszusprechen und ihm die Fortsetzung der- 



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artigen Verkehrs mit Abgeordneten ohne sein Vorwbsen 
und seine Erlaubniss zu untersagen. Diess erschien 
diesem als ,. Allerhöchste Controllc seines persönlichen 
Verkehrs ausser Dienst , der er sieh nicht unterwerfen 
könne", und damit war eine «eitere Steigerung der 
Krisis eingetreten, zu der sich in dieser Zeit auf dem 
Gebiete der auswärtigen Politik ein Vorfall gesellte, 
welcher dem Kanzler den Beweis lieferte, dass er die 
Ansichten und Absichten Sr. Majestät über die Stellung, 
die im Osten einzunehmen sei, nicht mehr vertreten 
könne, und ein kaiserliches Rillet an den Fürsten, das 
Weisungen enthielt, die er nicht ausführen konnte, und 
welches Vorwürfe aussprach, die ihm ,,ein unverdientes 
kränkendes Misstiauen" bekundeten. Selbstachtung for- 
derte nach solchen Kundgebungen fast unabweisbar zur 
Erreichung seines Abschiedsgesuches auf, aber nach 
reiflicher Prüfung des Für und Wider überwand er noch 
einmal seinen Rntschluss zum Rücktritt und brachte sein 
persönliches Gerahl seiner Pflicht gegen das Vaterland 
zum Opfer. Es sollte das letzte sein. Fortan kam sein 
Wille nicht mehr in Frage. Es war Zwang, aber zu- 
gleich Befreiung, als man ihm am Morgen des !/. die 
amtliche Aufforderung überbrachte, um seinen Abschied 
einzukommen. Am Nachmittage versammelte er den 
Ministerrath, um dessen Meinung über die Vorgänge der 
letzten Tage zu hören. Einer der Herren Kollegen 
meldete das stracks dem Kaiser, und so erfolgte noch 
am Abend, abermals amtlich, die Mahnung des Mon- 
archen, um die Erlaubniss zum Rücktritt zu bitten. 
Dies geschah am 18. März 1S90, und der Rest ist 
Schweigen, Nur der Wortlaut des Dokuments, mit dem 
der Kanzler bei seinem Herrn und Gebieter seine Ent- 
lassung beantragte , sei noch mit einigen kleinen Aus- 



- 110 — 

lassungen*) mitgetheilt, da volle Verschwiegenheit jetzt 
keine Pflicht mehr ist, wohl aber dip Geschichte ihr 
Recht beansprucht. Das Abschiedsgesuch lautet nach 
einer im März 1891 zu Friedrichsruh genommenen 
Kopie der Urschrift , die mir vom Kanzler selbst über- 
geben wurde: 

B(erün) ]8. 3. 90. Bei meinem ehrfurchtsvollen 
Vortrage vom 15. d. M, haben Euere Majestät mir 
befohlen , den Ordre - Entwurf vorzulegen , durch 
welchen die Allerhöchste Ordre vom 8. September 
1852, welche die Stellung eines Ministerpräsidenten 
seine» Kollegen gegenüber seither regelt, ausser Gel- 
tung gesetzt werden soll. Ich gestatte mir über die 
Genesis und Bedeutung dieser Ordre nachstehende 
allenmterthänigste Darlegung.**) Für die Stellung 
eines ..Präsidenten des ^51;l:lL iin-.TÜsi irri.Mi):.' ■ war scur 
Zeit des absoluten Königthums kein Iiedürfniss vor- 
handen , und es wurde zuerst auf dem Vereinigten 
Landtage von 1M47 durch die damaligen liberalen Ab- 
geordneten (Mevisscn) auf das Bcdürfniss hingewiesen, 
verfassungsmässige Zustände durch Ernennung eines 
„Premierministers" anzubahnen, dessen Aufgabe es sein 
viiirde, die ninlid::ichkdi . u.v i'ulink dos verantwort- 
lichen Gcsammt-Ministeriums zu übernehmen und herbei- 
zuführen und die Verantwortung für die Gesammt- 

l£u6 ergänzen kann. 

**) Uicsc war u. A. aus dem Grande geboten, «eil Sc. Majestät der 

orH-iilMH bei suklien Vorlr:i:>'T] 'i[;;.-^en sein mii^e , und es denl Mnn- 
»Khcn jederzeit i'm.taml , sifli j,'>';>L'ii <lL'-en und fttr ilai betreffenden 
Ressortminister in entscheiden. 



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ergebnisse der Politik des Kabincts zu übernehmen. 
Mit dem Jahre j 848 trat diese konstitutionelle Ge- 
pflogenheit bei uns ins Leben, und wurden „Präsidenten 
des Staatsministori ums" ernannt, wie Gral" Arnim, Camp- 
hausen, Graf Brandenburg, Freiherr von Manteuffel, 
Fürs: von Hohenzollern, nichl fi'ir ein Ressort, sondern 
für die Gt-niinisiitpolitik des Kabinets , also der Ge- 
sammtheit der Ressorts. Die meisten dieser Herren 
hatten kein eigenes Ressort, sondern nur das Präsidium, 
so zuletzt vor meinem Eintritt der Fürst von Hohen- 
zollern , der Minister von Auerswald , der Prinz von 
Hohenlohe. Aber es lag ihnen ob , in dem Staats- 
nmihlen'.iui :tu<i drssmi ISividum l;<'h zheii MoTiüiehrn 
diejenige Einigkeit und Stetigkeit zu erhalten , ohne 
welche eine ministerielle Verantwortlichkeit, wie sie 
das Wesen des Verfassungslebens bildet, nicht durch- 
führbar ist. Das Verhältniss des Staatsministeriums 
und seiner einzelnen Mitglieder zu der neuen Institution 
des Ministerpräsidenten bedurfte sehr bald einer nähern 
der Verfassung entsprechenden Re^ehins; , wie sie im 
Einverständnisse mit dem damaligen Staatsministerium 
durch die Ordre vom 8. September 1853 erfolgt ist. 
Diese Ordre ist seitdem entscheidend für die Stellung 
des Ministerpräsidenten zum Staats ministen um ge- 
blieben, und sie allein gab dem Ministerpräsidenten 
die Autorität, welche es ihm ermöglicht, dasjenige 
Mass von Verantwortlichkeit für die Gesammtpolitik 
des Kabinets zu itl n-niehrueri , weiches ihm im Land- 
tage und in der öffentlichen Meinung zugemuthet wird. 
Wenn jeder einzelne Minister Allerlincliste Anordnungen 
extrahiren kann ohne vorherige Verständigung mit 
seinen Kollegen , so ist eine einheitliche Politik , für 
welche Jemand verantwortlich sein kann, nicht möglich. 



i bleibt die- Möglichkei 



Absolutismus ohne ministerielle Verantwortlichkeit 
zurückkehrten. Nach den zu Recht bestehenden ver- 
fassungsmässigen Einrichtungen aber ist eine präsidiale 
Leitung des Minister - Collegiums auf der Basis der 



standen, und auch darüber, dass jeder meiner Nach- 
folger im Ministerpräsidium die Verantwortlichkeit 
nicht würde tragen können, wenn ihm die Autorität, 
welche die Ordre von 1852 verleiht, mangelte. Bei 
jedem meiner Nachfolger wird dieses Bedürmiss noch 
stärker hervortreten wie bei mir, weil ihm nicht so- 
fort die Autorität zur Seite stehen wird , die mir ein 
langjähriges Präsidium und das Vertrauen der beiden 
hochseligen Kaiser bisher verliehen hat. ich habe 
bisher niemals das Bcdürfniss gehabt , mich meinen 
Kollegen gegenüber auf die Ordre von 1852 ausdrück- 
lich zu beziehen. Die Existenz derselben und die 
Gewissheit, dass ich das Vertrauen der beiden hoch- 
seligen Kaiser Wilhelm und Friedrich besass, genügten, 
um meine Autorität im Kollegium sicher zu stellen. 
Diese Gewissheit ist heute aber weder für meine 
Kollegen noch für mich selbst vorhanden. Ich habe 
daher auf die Ordre von 1852 zurückgreifen müssen, 
um die nöthige Einheit im Dienste Euerer Majestät 
sicherzustellen. 



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Au-: vorziehenden Gründen bin ich ausser Stande, 
Euerer Majestät Befehl auszuführen , laut dessen ich 
die Aufhebung der vor Kurzem von mir in Erinnerung 
gebrachten Ordre von 1852 selbst herbeiführen und 
kontrasigniren, trotzdem aber das Präsidium des Staats- 
ministeriums weiterführen soll. 

Nach den Mittheilungen, welche mir der General- 
lieutenant von Hahnke und der Geheime Kabinets- 
rath Lucamis gestern gemacht haben, kann ich nicht 
im Zweifei sein, dass Euere Majestät wissen und 
glauben, dass es für mich nicht mißlich ist, die Ordre 
aufzuheben und doch Minister zu bleiben. Dennoch 
haben Euere Majestät den mir am 15. ertheilten Be- 
fehl aufrecht erhalten und in Aussicht gestellt, mein 
dadurch noth wendig werdenden Abschiedsgesuch zu 
genehmigen. Nach frühem Besprechungen , die ich 
mit Euerer Majestät über die Frage hatte, ob Aller- 
höchstdemselben mein Verbleiben im Dienste un- 
erwünscht sein würde , durfte ich annehmen , dass es 
Allerhöchstdemselben genehm sein würde, wenn ich 
Hilf meine Stellungen m Allcrhöchstdcro Preussischen 
Diensten verzichtete, im Reidisdienst aber bliebe, leb 
habe mir bei näherer Prüfung dieser Frage erlaubt, 
auf einige hedenk liehe Knn^e<p lenken dieser Theilimy 
meiner Aemter, namentlich des künftigen Auftretens 
des Kanzlers im Reichstage, in Ehrfurcht aufmerksam 
zu machen, und enthalte mich, alle Folgen, welche 
eine solche Scheidung zwischen Preusscn und dem 
Reichskanzler haben würde, hier zu wiederholen. 
Euere Majestät geruhten darauf zu genehmigen, dass 
einstweilen Alles beim Alten bliebe. 

Wie ich aber die Ehre hatte, aus einander zu 
setzen, ist es für mich nicht möglich, die Stellung 



— III — 

eines Ministerpräsidenten beizubehalten, nachdem Euere 
Majestät Tür dieselbe die capitis diminutio wiederholt 
befohlen haben, welche in der Aufhebung der Ordre 
von i8$2 liegt. 

Euere Majestät geruhten ausserdem bei meinem' 
ehrfurchtsvollen Vortrage vom 15. d. M. mir bezüglich 
der Ausdehnung meiner dienstlichen Berechtigungen 
Grenzen zu ziehen, welche mir nicht das Mass der 
Beteiligung an den Staatsgeschäften, der Uebersicht 
über letztere und der freien Bewegung in meinen 
ministeriellen EiitschliesHimgen und in meinem Verkehr 
mit dem Reichstage und seinen Mitgliedern lassen, 
deren (dessen) ich zur Uebernahme der verfassungs- 




Reichspolitik so unabhängig von der Preussischen xu 
betreiben, wie es der Fall sein würde, wenn der Reichs- 
kanzler der Preussischen Politik ebenso unbetheiligt 
gegenüber stünde wie der Bayerischen oder Sächsischen 
und an der Herstellung des Preussischen Votums im 
Bundcsrathe dem Reichstage gegenüber keinen Thcil 
hätte, so würde ich doch nach den jüngsten Ent- 

auswärligen Politik, wie sie in dem Allerhöchsten Hand- 
schreiben zusammengefasst sind, mit dem Euere Ma- 
jestät die Berichte des Konsuls in — gestern be- 
gleiteten,*) in der Unmöglichkeit sein, die Ausführung 



') f>;i"L-lb<: .-iiii jnlzl mndi nidn /.in Vi:i. .Iii rill ii Inj , und 

nach einer AndeuLun R des Fürsten ans dem Frühjahr 1S53 wäre wohl 
noeh heult in HelrufT ,h:r VeniilaMiLiif,' die in den fii-dankenst riehen 



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— 115 — 

der darin vorgeschriebenen Anordnungen bezüglich der 
auswärtigen Politik zu Ubernehmen. Ich würde damit 
alle für das deutsche Reich wichtigen Erfolge in Frage 
steilen, welche unsere auswärtige Politik seit Jahr- 
zehnten im Sinuc der beiden hochseligen Vorgänger 

Euerer Majestät in unsern Beziehungen zu unter 

ungünstigen Verhältnissen erlangt hat, und deren über 
Erwarten grosse Bedeutung mir — — nach seiner 
Rückkehr aus — bestätigt hat. 

Es ist mir hei meiner Anhänglichkeit an den 
Dienst des königlichen Hauses und an Euere Majestät 
und bei der langjährigen Einlebung in Verhältnisse, 
welche ich bisher für dauernd gehalten hatte, sehr 
schmerzlich, aus den gewohnten Beziehungen zu Aller- 
höchstdemseiben und zu der Gesammtpolitik des Reichs 
und Prcussens auszuscheiden, aber nach gewissenhafter 
Erwägung der Allerhöchsten Intentionen , zu deren 
Ausführung ich bereit sein müsste, wenn ich im Dienst 
bliebe, kann ich nicht anders als Euere Majestät aller- 
unterthänigst bitten, mich aus dem Amte des Reichs- 
kanzlers, des Ministerpräsidenten und des Prcussischen 
Ministers der auswärtigen Angelegenheiten in Gnaden 
und mit der gesel/lidu-n Pension einlassen zu wollen. 
Nach meinen Eindrücken in den letzten Wochen und 
niicli dr:: Kröil nulluni. 1 1 i ■. ■ ich yi^cni dr;t Mittlieilungcn 
aus Euerer Majestät Civil- und Militärkabinet ent- 
nommen habe, darf ich in Ehrfurcht annehmen, dass 
ich mit diesem meinem Entlassungsgesuch den Wün- 
schen Euerer Majestät entgegen kommen und also 
auf eine huldreiche Bewilligung mit Sicherheit rech- 
nen darf. 

üMKeilrikktt Viiisiclil Ktrallini, nt.m.bl iniwlscticti <!ic Hmuliurgrr „Ktil- 
liüllunui-n" erfolgt sind. 

8" 



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— HG — 

Ich würde die Bitte ' um Entlassung aus meinen 
Aemterit schon vor Jahr und Tag Euerer Majestät 
unterbreitet haben, wenn ich nicht den Eindruck ge- 
habt hätte, d;iss es Euerer Majestät erwünscht wäre, 
die Erfahrungen und die Fähigkeiten eines treuen 
Dieners Ihrer Vorfahren zu benutzen. Nachdem ich 
sicher bin, dass Euere Majestät derselben nicht bedürfen, 
darf ich aus dem politischen Lehen zurücktreten, ohne 
zu befürchten, dass mein Entschluss von der öffent- 
lichen Meinung als unzeiti« verurthcilt wird. 

(gez.) von Bismarck. 



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Wir stehen vor dem Schlüsse. Ich habe gesagt, 
ich wusste und musste, schwerlich mehr, als ich 



rnhi-dun^ di^s.sdlien durch Miss^rit'fi: und riinschkgen 
i Irrwegen zu warnen, mit Hülfe der Presse und An- 
achen an Freunde und Verehrer , den einzigen ihm 
it zu Gebote stehenden Mitteln, aufmerksam und un- 
chrocken entsprochen. Daneben begann er eine Ar- 
t, die das Gerücht seine Memoiren nannte, in der 



;h die Gegei 
schichte sein. 



Zeit, vermochte sie aber nicht zu schreiben, und Lothar 
Bücher, der ihm mit seinem reichen Wissen und seinem 
sichern Urtheil zur Seite stand, und der dem Mangel 
bis zu einem gewissen Grade abhelfen konnte , starb 
ihm vor Vollendung des Werkes. In der übrigen Um- 
gebung des Fürsten war -■■ man darf wohl sagen, selbst- 
verständlich — kein irgend genügender Ersatz, und so 
büeb die Arbeit ein Torso,' wenn auch ein vielfach inter- 
essanter und werthvoller. 

Dass das deutsche Volk, das wahre und eigentliche, 
nicht das „Volk" der Zeitungsjuden, Kapläne und par- 
lamentarischen Geschäftsleute, seinen Heros nicht ver- 
gessen hatte, wie schnöderweise seine „Vertreter" im 
Reichstage, die doch sonst so viele Worte für ihren 
jämmerlichen Parteitrödelkram haben , dass es jetzt in 



den? — rat Illing -ii- lii-iii-r in IS:;r]in hL . .tmili-lt] 



Onkel Strebern, 



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hell und w 
weniger \ 



Drapirung der Omnipotenz, das politische Streberthum 
da? seine]] Abschied als Wi>hlthat empfand , da dei 
Untergang der Sonne seinem eigenen Pfenniglämpcher 



urde Friedrichsr 
Das klingt wi« 



nig Ve 



essen und ist, ohne Einschr 
That nicht viel mehr als ein 
unter den Pilgerzügen , welch 
dieser Wallfahrtsstätte führten 
eigentlichen Natur und der ein 
viel Eitelkeit und Neugier, viel Reklame und 
Trieb , mit der Mode zu gehen ; unzweifelha 
sich namentlich unter den Veranstaltern , 1 
Wortführern nahe Verwandte und Erben . 



bahnen nach 
ständniss der 
des Kanzlers, 



ehrung nicht k 
mente", politis 
lanten, die in J 
Dergleichen ist 
gelte 



legenheiten 
orkommai. 



sache der Ausbreitung und Hebung des Sinnes für die 
Aufgaben , Rechte und Güter der Nation durch den 



— 120 — 

Genius Bismarcks, die sich in den Massen fahrten nach 
dem Sachsenwalde ausprägte, wird durch den Unistand, 
dass es „gemischte" Gesellschaft war, die dort erschien, 
im Grossen und Ganzen nicht verändert , geschweige 
denn aus der Welt geschafft, und Verständige werden 
damit vorliebnehmen. 



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